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Epidemien  Epidemien : Pest, Pocken, Spanische Grippe und nun Corona

Von Gerd Henschel 15.11.2020, 12:31
Als die Pest in Naumburg grassierte, sollen sich die Ärzte hier wie anderswo auch mit Schnabelmasken geschützt haben. Ein Bild aus dem Kirschfestumzug erinnert an den „Schwarzen Tod“.
Als die Pest in Naumburg grassierte, sollen sich die Ärzte hier wie anderswo auch mit Schnabelmasken geschützt haben. Ein Bild aus dem Kirschfestumzug erinnert an den „Schwarzen Tod“. Torsten Biel

Immer wenn eine neue Krankheit auftrat, spielte sich das Gleiche ab. Zunächst kam es verständlicherweise zu einer mehr oder weniger angebrachten Panik, dann geriet das Thema oft schon bald wieder in Vergessenheit oder man lernte, damit zu leben.

Im letztgenannten Stadium befinden wir uns gerade, und das wird wohl andauern, bis ein wirksamer Impfschutz möglich ist. Die Gesamtanzahl der nachgewiesenen Corona-Infektionen weist am 23. Oktober für den Burgenlandkreis 375 Fälle auf, bei einer 7-Tages-Inzidenz von 48,68. Vorbei sind die Zeiten, als wir hier verglichen mit den meisten anderen Landesteilen nur niedrige Fallzahlen hatten. Man kann nur hoffen, dass diese nicht weiter drastisch ansteigen.

Lange Liste an Epidemien

Die Liste der Epidemien, die wir in Deutschland in den letzten 130 Jahren erlebt haben, ist länger, als man vielleicht vermutet. Hier sollen nur einige genannt werden: 1892 Choleraepidemie in Hamburg, 17.000 Menschen erkrankten, es starben 9.000; 1918 bis 1920 Spanische Grippe, weltweit starben rund 50 Millionen Menschen, in Deutschland rund 300.000; 1957/58 Asiatische Grippe, in der Bundesrepublik starben daran vermutlich 50.000 Menschen; 1962 Ruhrepidemie in der DDR mit etwa 75.000 bis 100.000 Erkrankten; 1962 und 1970 Pockenausbruch in der Eifel und im Sauerland; 2009 Schweinegrippe, weltweit 16.813 Todesfälle, 253 in Deutschland.

Auch wenn sich das schlimm anhört, so waren, wenn man weiter zurückblickt, die Folgen von Epidemien wesentlich drastischer. So soll ab 1346 in ganz Europa bei der wahrscheinlich größten Pestpandemie der Geschichte etwa ein Drittel der Gesamtbevölkerung dem sogenannten „Schwarzen Tod“ zum Opfer gefallen sein. Allerdings handelt es sich bei der genannten Zahl um Schätzungen auf der Basis von Taufregistern, Steuerlisten, Pfarrbüchern, Zunftverzeichnissen und anderem mehr. Auch Naumburg hat im 15. und 16. Jahrhundert unter der Pest häufiger zu leiden gehabt. Einige Nachrichten findet man dazu bei Sixtus Braun, der sich zum Teil auch auf Nicolaus Krottenschmidt bezieht.

"Abermals ein großes Sterben angefangen"

Einige Zitate daraus: „Die Pest hat hier (1404) und an anderen Orten heftig gewütet, deswegen ist mit der Prozession umgegangen, das Heiligtum herumgetragen und gebeten worden, daß Gott diese Pestilenz wenden möge.“ „Dieses Jahr über (1475) ist hier und anderswo eine große Pest und fast überall gewesen.“ „Dieses Jahr (1519) ist ein großes Sterben allhier gewesen, daß auch darüber etliche Ratsfreunde und andere Bürger davon gezogen sind…“. „Dies Jahr (1542) hat die Pest sehr hier grassiert, daß auch etliche Bürger aus den Ratsherrn und Bürgern davongegangen.“ „Ein großes Sterben ist hier gewesen (1552).“ „Den 9. Juli (1565) hat hier ein großes Sterben angefangen, daß auf den 28. August in der Stadt 28 Leichen gewesen, wie denn viel vornehme Leute darin verblieben.“ „Den 12. März (1575) hat abermals ein großes Sterben angefangen.“

Die letzte Pestepidemie des 16. Jahrhunderts, die von 1598, findet keine Erwähnung bei Sixtus Braun, wohl aber bei Johann Bürger. In seinen Annalen schreibt er: „In diesem Jahr ist ein Sterben zur Naumburgk gewesen, denn die pestis daselbst grassiret hatt. In der Stadt sind allein 884 Personen, … , gestorben. Auff der Freiheit 313, in der Vorstadt zu S. Othmar vnd zu S. Moritz 570, Summa 1.767.“ Für die Zeit danach gibt es neue Quellen, die Kirchenbücher. Es war wohl 1544, als erstmals angeregt wurde, in den Kirchgemeinden Tauf-, Ehe- und Sterberegister anzulegen. Das älteste in Naumburg bekannte derartige Kirchenbuch ist das der Gemeinde St. Wenzel aus dem Jahre 1567.

Quellen oftmals nicht mehr vorhanden

Nun darf man aber nicht erwarten, dass von da an durchgehend detaillierte Zahlen über Geburten, Eheschließungen und Beisetzungen vorliegen. Die Ursachen dafür sind vielfältiger Art. Die Bücher wurden von unterschiedlichen Personen in unterschiedlicher Qualität geführt, mal war es der Pfarrer, der Küster oder der Schulmeister. Auch sind durch elementare Ereignisse wie Brände Bücher nicht mehr vorhanden.

Louis Naumann, Superintendent a. D., hat 1913 in seiner Arbeit „Die ältesten Kirchenbücher Naumburgs im Dienste der Stadtgeschichte“ die Kirchenbücher der Naumburger Gemeinden St. Wenzel, St. Moritz, St. Othmar und Domfreiheit unter anderem hinsichtlich ihrer Aussagen über die „Heimsuchung der Stadt durch epidemische Krankheiten“ analysiert. Er fand heraus, dass die Sterbezahlen in der Gemeinde St. Moritz in den Pestjahren 1598 und 1607 jeweils das Achtfache der sonst durchschnittlichen Zahlen von etwa 40 Personen erreichten, 1607 in der Domfreiheit sogar das Neunfache. Im Pestjahr 1611 stieg die Sterbeziffer in den Gemeinden St. Moritz, St. Othmar und der Domfreiheit auf das Vierfache des Durchschnittswertes an. Im Jahr 1616 verdoppelte sich die Sterbeziffer durch die Ruhr.

Die höchste Opferzahl forderte die Pest in den Jahren 1625; in St. Moritz und St. Othmar stieg sie auf das Acht- bis Zehnfache, in den anderen beiden Gemeinden auf das Fünffache, insgesamt 1.642 Menschen starben. Auch 1626 forderte die Pest nochmals mit 799 Opfern das Dreifache der sonst üblichen Sterbezahlen.

Pest wütet im Dreißigjährigen Krieg

Während des 1618 begonnenen Dreißigjährigen Krieges wütete die Pest noch zweimal in der Stadt: 1636 forderte sie das Dreifache und 1637 das Doppelte der jährlichen Sterbezahlen an Opfern. Im 16. und 17. Jahrhundert wurde sie als bislang schlimmste Krankheit abgelöst von den Pocken, auch Blattern genannt. Im genannten Zeitraum starb etwa ein Drittel der europäischen Bevölkerung an dem Virus.
1641, vielleicht schon 1633, gab es möglicherweise die erste derartige Epidemie in Naumburg, die viele nicht überlebten. Daneben waren es auch immer mal wieder Masern und die Ruhr. Die rote Ruhr beispielsweise 1708, die unter anderem nach Borkowsky „so wütete, daß man an manchen Tage 50 Leichen hinaustrug“. Damals war es der städtische Arzt Jakobi, dem es gelang, mit Branntwein, der zusammen mit rotem Wein getrunken werden musste, die Krankheit zu vertreiben.

Johann Karl Gottlieb Mann erwähnt in der „Chronik der Stadt Naumburg auf die Jahre 1800 bis 1814“ mehrfach das Auftreten der Pocken, aber auch der Masern. So von Dezember 1801 bis April 1802, wobei „über 50 Kinder an dieser traurigen Krankheit starben“. Auch im November 1803 „grassirten die Pocken sehr bösartig; es starben viele Kinder daran, manchen Eltern zwey bis drey.“ 1812 betraf die Mehrzahl der in Naumburg Verstorbenen „die Kinder, von welchen die Masernepidemie viele wegnahm.“ 1814 schließlich „starben 28 Kinder an Blattern“.

Zur Immunisierung hatte 1796 der englische Arzt Edward Jenner eine neue Methode bekannt gemacht, die Impfung mit Kuhpocken-Viren. Schon 1801 gab es nach Mann diese Möglichkeit auch in Naumburg, ein „hier angekommener fremder Artzt wollte die Kuhpocken einimpfen, wurde aber, weil diese Erfindung noch neu war, nur von wenigen Eltern dankbar benutzt.“ Dank einer Impfpflicht für Pocken - in Deutschland seit 1874 - gilt diese Krankheit seit 1980 offiziell als ausgerottet. Deshalb gaben bis 1984 alle Länder die Impfungen auf.

Noch ein Aspekt soll hier erwähnt werden: die Schuldfrage, die immer wieder gestellt wird, wenn solche Krankheiten ausbrechen. Für die Pest wurde im 14. Jahrhundert die jüdische Bevölkerung als „Brunnenvergifter“ verantwortlich gemacht, das hatte Pogrome zur Folge und führte zur Auslöschung ganzer Gemeinden. Die Spanische Grippe kam 1918 aus den USA, jedoch hatte niemand diese dafür an den Pranger gestellt, was wohl durch kriegsbedingte Zensur zu erklären ist. Für Corona wird nun, hauptsächlich durch die USA, China verantwortlich gemacht.


Gerd Henschel ist geschichtsinteressierter Naumburger mit eigener Homepage: www.drhenschel.de