Ärger über neue ICE-Strecke Ärger über neue ICE-Strecke: "Wir sind abgekoppelt"

Naumburg - Der ICE als Hoffnungsträger: Wirtschaft, Wissenschaft und Politik in Sachsen-Anhalt erhoffen sich von der neuen ICE-Schnellstrecke Berlin-München einen Aufschwung für den Süden Sachsen-Anhalts. Nur Götz Ulrich ist skeptisch. Der Landrat des Burgenlandkreises sieht seine Region abgehängt. Alexander Schierholz sprach mit dem CDU-Politiker über den bevorstehenden Wandel im Braunkohle-Revier, den Traum vom S-Bahn-Anschluss - und Landesstraßen in der Börde.
Herr Ulrich, als die neue ICE-Strecke eröffnet worden ist, haben Sie von einem „Trauertag“ gesprochen. Warum freuen Sie sich nicht über die schnelle Bahn-Anbindung Sachsen-Anhalts?
Ulrich: Weil der Burgenlandkreis davon wenig hat und sich für uns die Reisezeiten teilweise sogar verlängern. Der ICE hält nicht mehr in Naumburg. Bis auf einen Zug morgens und abends sind wir damit endgültig vom Fernverkehr abgekoppelt. Und das gerade jetzt, wo wir vor einem Strukturwandel stehen, der ähnlich einschneidend sein könnte wie nach der Wende 1989.
Wie meinen Sie das?
Mit dem möglichen Aus für die Braunkohle stehen wir vor dem Verlust von tausenden Arbeitsplätzen, allein im Burgenlandkreis geht es um 6 000 Jobs. Wir müssen versuchen, neue Industrien anzusiedeln, die Ersatz dafür bieten.
Das wird aber schwierig, gerade in einer Zeit, in der Unternehmen in ganz Deutschland nach Fachkräften suchen. Wer hier keine neue Stelle findet, der findet sie dann vielleicht in Halle, Leipzig oder Jena. Damit die Menschen weiter hier wohnen bleiben können, brauchen wir gute Verkehrsanbindungen.
Die haben Sie doch. Mit dem Wegfall der ICE-Züge ist der Nahverkehr im Burgenlandkreis ausgebaut worden. Von Leipzig nach Naumburg gibt es sogar wieder eine stündliche Direktverbindung. Nach Halle fährt nahezu jede halbe Stunde ein Zug.
Ja, die Verbindung nach Halle ist gut, aber für Leipzig und auch für Jena gilt das nicht. Von Naumburg fahren täglich 35 Züge nach Halle und nach Erfurt; nach Jena und nach Leipzig sind es jeweils nur 19. Andere Städte sind da besser dran. Nehmen Sie Bitterfeld - 37 Nahverkehrszüge täglich nach Leipzig. Altenburg - 36 Züge. Ohne Leipzig geht in unserer Region nichts. Naumburg, Weißenfels und Zeitz dürfen nicht schlechter gestellt werden.
Wie sieht Ihre Lösung aus?
Wir kämpfen seit Jahren für einen Anschluss an das mitteldeutsche S-Bahn-Netz. So könnten wir zum Beispiel den Regionalexpress nach Leipzig mit der S-Bahn zu einem Halbstundentakt ergänzen. Gleiches gilt für Jena. Die S-Bahn wäre auch ein wichtiges Signal nach außen: Wir sind nicht Provinz, wir gehören zur Metropolregion Mitteldeutschland. Wie Bitterfeld oder Altenburg.
Wo soll das Geld für zusätzliche S-Bahnen herkommen?
Das Land bestellt den Nahverkehr, also müsste es auch für die Finanzierung sorgen. Leider prüft man im Verkehrsministerium noch. Wir werden also immer wieder dafür trommeln müssen.
Fühlt sich der Burgenlandkreis in Sachsen-Anhalt abgehängt?
Wenn man immer wieder auf Nachteile hinweist, gerät man schnell in die Rolle des Nörglers. Es gibt Dinge, über die wir uns überhaupt nicht beschweren können, die Unterstützung aus Magdeburg für Stadtsanierung, Tourismus und Kultur zum Beispiel. Aber bei der Verkehrsinfrastruktur haben wir großen Nachholbedarf. Das gilt auch für die Landesstraßen, zum Beispiel nach Thüringen. Wenn ich meine Mutter im Bördekreis besuche, stelle ich immer wieder fest: Dort sind die Landesstraßen in einem viel besseren Zustand.
Haben Sie den Verkehrsminister mal darauf angesprochen? Herr Webel war ja dort Landrat.
Dazu sage ich jetzt nichts.
Wenn Sie bessere Nahverkehrsverbindungen für Pendler fordern, kann der Wegfall der ICE-Züge doch nicht so dramatisch sein.
Doch. Für den Tourismus ist der Fernverkehrsanschluss enorm wichtig. Nehmen Sie Berlin, das ist für uns ein wachsender Markt. Bisher konnte man im ICE direkt bis nach Naumburg fahren. Viele Gäste haben das zu schätzen gewusst.
Wie viele? Wie groß ist dieser Anteil wirklich?
Der Anteil der Gäste aus Berlin und Brandenburg liegt derzeit bei rund sieben Prozent, der aus Bayern bei etwa sechs Prozent. Übrigens ist ein ICE-Anschluss auch für Tagungstourismus wichtig.
Befürchten Sie einen Einbruch im Tourismus?
Ja.
Dabei ist Naumburg doch dank der Schnellfahrstrecke zum Teil jetzt viel schneller zu erreichen, wenn auch mit Umsteigen. Zum Beispiel von München aus.
Von München aus ja, von Berlin aus nein, hier verlängert sich die Fahrzeit sogar. Und Umsteigen macht eine Verbindung weniger attraktiv. Das weiß jeder Verkehrsexperte.