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Brandenburg Brandenburg: Kleinkrieg um das Abwasser

Von ALEXANDER SCHIERHOLZ 16.10.2008, 18:13

BRIESENSEE/MZ. - Ein Schild warnt vor einem freilaufenden Hund und einem bissigen Pferd. Hinterm Zaun türmen sich Flaschen und Einmachgläser. Weniger Meter entfernt auf dem Grundstück: ein Berg von Schrott - Zaunteile, Reifen und Räder, Autositze, Stahlträger, ein Fahrrad.

Was aussieht wie eine Festung, ist das Grundstück von Doris Groger. All die Barrikaden haben der 56-Jährigen nichts genützt: Am 10. September haben Polizisten die Lehrerin und amtierende parteilose Ortsbürgermeisterin unter wütenden Protesten von Nachbarn von ihrem Anwesen im Spreewald getragen. Während sie mehrere Stunden in Polizeigewahrsam zubrachte, rückten Bauarbeiter an und schlossen ihr Haus an die öffentliche Kanalisation an.

Vier Wochen später sitzt Doris Groger auf ihrem Grundstück, blinzelt in die Herbstsonne und kann wieder lachen. "Ich werde nicht aufgeben", sagt sie. Im Gartenteich drehen Koi-Karpfen ihre Runden. Schilf wogt am Ufer sanft im Wind. Am Gartenzaun lehnt ein Schild, es sieht aus wie ein Ortsschild. "Freistaat Briesensee" steht darauf und "Abwasserfreies Grundstück". Örtliche Zeitungen haben die zierliche Frau mit dem weißen Haarschopf die "Abwasser-Rebellin von Briesensee" genannt.

Denn der Gartenteich ist kein Teich - sondern eine Pflanzenkläranlage. Und damit der Stein des Anstoßes. Seit zehn Jahren reinigt Groger auf diese Weise das Wasser, das sie in Haus und Hof benötigt. Aus Umweltgründen. "Ich finde so einen Kreislauf faszinierend", sagt sie, "Wasser verbrauchen, reinigen und wieder verwenden." Das brandenburgische Umweltministerium fand das offenbar auch: 2003 verlieh es dem Hersteller der Anlage aus Burg im Spreewald einen Umweltpreis. Gutachten bescheinigen dem Grogerschen Pflanzenklärwerk Badewasser- und in Teilen sogar Trinkwasserqualität. Trotzdem soll die 56-Jährige ihre kleine Bio-Kläranlage nicht nutzen dürfen. Das Amt Lieberose / Oberspreewald, die für Briesensee zuständige Verwaltungsbehörde, beharrt auf dem Anschlusszwang an das Abwassernetz.

Den können Entsorger, ähnlich wie in Sachsen-Anhalt, anordnen. Und viele tun es. Weil sie in der Aufschwungshoffnung der 90er Jahre überdimensionierte Klärwerke geplant und gebaut haben, nun aber - noch eine Parallele zu Sachsen-Anhalt - in vielen Fällen die Kosten nicht mehr in den Griff bekommen.

Polizeieinsatz bedauert

Ist das auch der Grund im Fall Briesensee? Groger kann das nur vermuten. Amtsdirektor Bernd Boschan beruft sich in seiner Stellungnahme zu dem Streit auf Urteile des Verwaltungsgerichts Cottbus und des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg, die den Anschlusszwang für rechtens erklärt haben. Weil alle Grundstückseigentümer gleich zu behandeln seien, vollstrecke das Amt Lieberose / Oberspreewald die entsprechenden Verfügungen auch gegen Eigentümer, die sich gegen einen Anschluss an das Kanalnetz wehren. Nur so lasse sich eine gleichmäßige finanzielle Belastung aller Bürger erreichen. Zugleich bedauert Amtschef Boschan, dass dabei auch die Polizei habe eingesetzt werden müssen.

Doris Groger dagegen bemüht das Recht auf kommunale Selbstverwaltung. Und das Grundgesetz, Artikel 20. "Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus", steht da. In Briesensee überträgt das Volk, vertreten vom Gemeinderat, 1997 die Pflicht zur Abwasserentsorgung auf das Amt Lieberose. Ein Jahr später nehmen die Räte den Beschluss zurück. Sie trauen den Kalkulationen nicht mehr, fürchten, es werde zu teuer.

Von da an agieren beide nebeneinander her - die Gemeinde, deren Bürgermeisterin mittlerweile Doris Groger heißt, und ihre Verwaltungsbehörde: Die erkennt die Rücknahme nicht an, Briesensee beschließt trotzdem ein Konzept für dezentrale Kläranlagen. Ohne Erfolg: Im Sommer 2000 rollen die Bagger an, allen Protestmärschen, Demos und Hungerstreiks von Einwohnern zum Trotz. Der Anschluss Briesensees an die Kanalisation beginnt.

Nur ein Grundstück bleibt lange übrig: das von Doris Groger. Sie wehrt sich - und findet das selbstverständlich. "Hätte ich anders gehandelt, hätte ich die Gemeinderatsbeschlüsse mit Füßen getreten. Wie hätte ich denn dann vor den Bürgern dagestanden?" Zweimal rückt die Polizei an, schreitet aber nicht ein. Doch am 10. September lässt Amtsdirektor Boschan den Gerichtsbeschluss polizeilich durchsetzen. "Mir war schon klar", sagt Groger, "dass die nicht noch ein drittes Mal unverrichteter Dinge wieder abziehen."

Auf einem Film, den Unterstützer von ihr gedreht haben, sieht man, wie die 56-Jährige von vier Polizistinnen und Polizisten von ihrem Grundstück getragen wird. Ihre Hände sind mit Kabelbindern gefesselt, sie ruft "Sie brechen das Grundgesetz!". Nachbarn skandieren "Wir sind das Volk!". Briesensee ist weiträumig abgeriegelt, insgesamt sind mehr als 20 Beamte im Einsatz.

Spätestens damit wird der Streit zum Politikum. Linke und Grüne im Potsdamer Landtag sind empört, Amtsdirektor Boschan und die Polizei müssen sich Unverhältnismäßigkeit vorwerfen lassen. Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) verteidigt dagegen seine Beamten - sie seien "maßvoll" vorgegangen, erklärt er in einer Landtagssitzung.

Zustimmung aus dem Ort

Doris Groger muss unterdessen um ihre berufliche Zukunft als Lehrerin fürchten. Boschan hat beim Schulamt ihre Verfassungstreue in Frage gestellt, die Prüfung läuft noch. Und dann sind da die Kosten für den Polizeieinsatz und den Kanal, die sie wohl wird tragen müssen. Trotzdem will sie weiterkämpfen. "Ich bekomme Zustimmung aus dem ganzen Ort und reihenweise Briefe und Mails. Ich habe den Eindruck, dass viele Leute hinter mir stehen."

Bestärkt davon, will sie sich jetzt vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gegen den Zwangsanschluss wehren. Die Barrikaden sollen stehen bleiben. "Bis zur letzten Instanz", sagt sie mit fester Stimme.