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Blumen Gräser und Kräuter Blumen Gräser und Kräuter: Der Wildpflanzenflüsterer aus Halle

Von Sabrina Gorges 30.07.2015, 04:21
Wildpflanzenvermehrer Matthias Stolle steht auf einer Anbaufläche zwischen Frößnitz und Nehlitz im Saalekreis - vor den Toren der Stadt Halle.
Wildpflanzenvermehrer Matthias Stolle steht auf einer Anbaufläche zwischen Frößnitz und Nehlitz im Saalekreis - vor den Toren der Stadt Halle. dpa Lizenz

Frößnitz - Matthias Stolle steht im karierten Hemd und mit Strohhut zwischen Blumen, Gräsern und Kräutern. Es duftet. Zwischen den Fingern zerreibt er eine kleine Samenkapsel, deren körniges Inneres wegen seiner Winzigkeit kaum zu erkennen ist. Wilde Bienen und Hummeln schwirren herum und scheinen mit dem Angebot auf dem Feld bei Frößnitz im Saalekreis fast überfordert. „Gelb und lila sind gerade in“, sagt der Agraringenieur, der sich seit mehr als 15 Jahren den Wildpflanzen verschrieben hat. Er vermehrt ihr Saatgut. Eine fisselige Arbeit, die nur mit Geduld und viel Fingerspitzengefühl bewältigt werden kann.

Stolle schreitet die langen Reihen ab. Die lateinischen Namen der Pflanzen sprudeln nur so aus ihm heraus. Hier die Sichelmöhre, dort der Natternkopf und mittendrin immer wieder ein paar gelb blühende Königskerzen. „Wenn man die einmal drin hatte, dann kommen die immer wieder“, sagt der 60-Jährige, der in Potsdam geboren und in Dresden aufgewachsen ist. Vor mehr als 50 Jahren kam er nach Halle, das Lebens- und Arbeitsmittelpunkt ist.

130 Arten als „Saale-Saaten“ im Anbau

Vier Hektar groß ist die Fläche vor den Toren seiner Heimatstadt, auf etwa der Hälfte wachsen Stolles wilde Pflanzen. Es gibt Beete und einige brach liegende oder im Umbruch befindliche Flächen. Am Rand hat er Kartoffeln und Weinreben gepflanzt und einem Imker Platz für Bienenvölker eingeräumt.

130 wilde Arten hat Stolle aktuell unter dem Namen „Saale-Saaten“ im Anbau, darunter seltene oder gefährdete Arten zur Wiederansiedlung wie die Graue Kratzdistel und die Sibirische Schwertlilie. Pflanzen, denen es, anders als den meisten Kulturformen, an großer Üppigkeit fehlt und die durch robuste, unscheinbare Schönheit bestechen. „Geerntet wird viel mit der Hand“, sagt der Hobbywinzer, dessen Saatgut für Rekultivierungs- und Ausgleichsmaßnahmen oder für sogenannte Blühstreifenprogramme verwendet wird. Auch Privatleute finden immer mehr Gefallen an Wildpflanzenmischungen für den heimischen Garten.

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„Ich muss immer im Blick haben, wann etwas reif ist, sonst kann ganz schnell alles zu spät sein.“ Der Mini-Mähdrescher kommt nur selten zum Einsatz, Stolle und seine Helfer sieht man meist in gebückter Haltung über die Fläche gehen. „Manchmal muss das auch ein Staubsauger machen“, sagt Stolle, der die Saat mit einer Mini-Dreschmaschine und Handsieben weiter bearbeitet. Im Jahr kommt nicht einmal eine Tonne Saatgut zusammen. „Das ist ja keine Massenproduktion.“ Ein Teil der Pflanzen wird im feuchten Zustand geerntet, wenn die Fruchtstände noch geschlossen sind. „Der Samen könnte sonst vor der Ernte schon rausfallen“, sagt Stolle. „In diesem Fall ist ein Trocknen und Nachreifen nötig.“

Weil er keine Lagerkapazitäten hat, arbeitet Stolle mit einem großen Saatguthändler zusammen. Hier werden standortangepasste Mischungen für die 22 deutschen Herkunftsregionen hergestellt. Etwa 500 Wildpflanzenarten sind aktuell im Handel. Es gilt: Die Saat kehrt wieder in ihr Herkunftsgebiet zurück - wegen der Standorttreue. „Das Gänseblümchen von der Insel Rügen kommt in Bayern nicht so gut zurecht“, sagt der Experte, der im Verband deutscher Wildsamen- und Wildpflanzenproduzenten (Wetzlar) einer von derzeit neun Beratern und der zweite Vorsitzende ist.

Ein Aufwand, der seinen Preis hat

Oft ist Stolle in der Region unterwegs und sammelt Wildformen von Kräutern und Gräsern, etwa in der nahen Franzigmark. „Sie dienen mir als Ausgangsmaterial für meine Vermehrungsbestände“, sagt er. Die Herkunft wird dokumentiert und der Fundorts vermerkt. Ein Aufwand, der seinen Preis hat. Stolle nennt ein Beispiel: „Ein Kilo Saat des standortspezifischen Borstgrases kostet etwa 600 Euro. Das sind so um die zehn Millionen Samen.“

Mit der Hochschule Anhalt in Bernburg arbeitet Stolle zusammen, etwa um artenreiches Grünland zu etablieren. Dort laufen auch Anstrengungen, arten- und blütenreiche Feldraine und mehrjährige Blühstreifen im Agrarraum zu verankern. Sie sind wichtige Pollen- und Nektarquelle sowie Nahrungs-, Fortpflanzungs-, Rückzugs- und Überwinterungsgebiet für Tiere. „Geförderte Agrarumweltmaßnahmen machen die Projekte möglich“, sagt Anita Kirmer vom Fachbereich Landwirtschaft, Ökotrophologie und Landschaftsentwicklung. Kirmer zufolge dürfen in Sachsen-Anhalt in der aktuellen Förderperiode bis 2020 mehrjährige Blühstreifen nur mit Wildpflanzenmischungen aus regionaler Produktion angesät werden. (dpa)