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Bitterfeld Bitterfeld: Von der Dreckstadt zum sauberen Industrieort

Von Petra Buch 16.04.2009, 08:36
Das Foto von 1970 zeigt, wie Wolken aus den Kühltürmen in den dunstigen Himmel über dem Chemiekombinat Bitterfeld steigen. (FOTO: DPA)
Das Foto von 1970 zeigt, wie Wolken aus den Kühltürmen in den dunstigen Himmel über dem Chemiekombinat Bitterfeld steigen. (FOTO: DPA) dpa-Zentralbild

Bitterfeld-Wolfen/dpa. - Mit dem Fall der Mauer kam das von den DDR-Oberen unter dem Deckel gehaltene Ausmaß der Umweltkatastrophe in dem geschundenen Landstrich im heutigen Sachsen-Anhalt ans Licht. So soll die US-Schauspielerin und Umweltaktivistin Jane Fonda, die 1990 in Leipzig weilte, bei ihrem Besuch inkognito inWolfen geweint haben, als sie am Ufer der Grube Johannes stand.«Silbersee» nannte der Volksmund das penetrant stinkende Wasser mitden silbern glänzenden Abfällen der einstigen Filmfabrik.

20 Jahre später hat sich das Bild gewandelt: Bitterfeld-Wolfenwirbt als grüne Stadt mit moderner Industrie. «Heute gibt es keinenUnterschied mehr zwischen Industrieregionen in Ost und West, zwischender Luft etwa im Ruhrgebiet oder Bitterfeld», sagt die Umweltexpertinbeim Umweltbundesamt (UBA/Dessau-Roßlau), Ute Dauert. Mit der Wendestartete in Bitterfeld-Wolfen eines der weltweit größten ökologischenSanierungsprojekte.

Anschaulich ist dies in Karten zur Luftbelastung mit Schadstoffenzu sehen. So war bis 1989 Bitterfeld-Wolfen ein großer schwarzerFleck - heute ist der Landstrich ebenso farblich positiv gelb wieandere in Deutschland. Eine Altlast liegt aber noch heute tief unterBitterfeld, eine verunreinigte geschlossene Grundwasserblase, derenSanierung nach Meinung von Experten noch viele Jahre dauern wird.

Die Luft ist besser, die Dreckschleudern sind verschwunden: «Eswurden viele Anlagen stillgelegt, andere nach den neusten Standardsausgerüstet, so zum Beispiel mit Filteranlagen, oder ganz neu undmodern gebaut», sagt Dauert. Auf dem sanierten Areal des einstigenmaroden Chemiekombinates Bitterfeld (CKB) entstand der ChemieparkBitterfeld Wolfen, der als einer der Leuchttürme der ostdeutschenChemie gilt.

Einen großen Aderlass gab es aber bei der Beschäftigung - etlicheMenschen verließen die Region. Waren zu DDR-Zeiten Zehntausende inden Kombinaten der Chemie und des Bergbaus sowie in der damaligenORWO Filmfabrik tätig, mussten viele mit den Stilllegungen aufJobsuche gehen. Trotz neuer Ansiedlungen in Industrie, Mittelstand,Handwerk und im Dienstleistungsgewerbe ist die Arbeitslosigkeitweiter hoch - denn die moderne Chemie mit Computersteuerung brauchtrelativ wenige Arbeiter.

Die Arbeitslosenquote von Bitterfeld-Wolfen lag nach Angaben derRegionaldirektion Sachsen-Anhalt-Thüringen der Bundesagentur fürArbeit im März bei 14,4 Prozent - in Sachsen-Anhalt bei 14,8 Prozent.Rund 46 300 Menschen leben in der seit 1. Juli 2007 fusioniertenStadt, 7300 Arbeitslose gab es im März. Für Investoren aus dem In-und Ausland ist die Region nach Meinung von Experten wegen der Lagein der Mitte Europas, der Nähe zu Universitäten, Hochschulen undWissenschaftsinstituten sowie wegen der Fachkräfte attraktiv.

Rund 360 Firmen haben sich seit der Wende im ChemieparkBitterfeld-Wolfen angesiedelt, wo rund 11 000 Menschen beschäftigtsind. Die Infrastruktur wurde erneuert, die Kreislaufwirtschaft mitden für die Chemie so wichtigen Voraussetzungen wie dem Chlorverbundunterscheidet den Standort von anderen der Branche in Deutschland.Der Leverkusener Bayer-Konzern produziert in seiner BitterfelderTochterfirma frei verkäufliche Tabletten und in Wolfen-Thalheim gibtes mit der Solarindustrie rund um das börsennotierte Unternehmen Q-Cells eine neue Branche.

«In den Landkreis Anhalt-Bitterfeld flossen von 1991 bis Ende 2008in 711 industrielle Projekte rund vier Milliarden Euro. Davon kamen783 Millionen Euro vom Bund, dem Land und der EU, rund 13 000 neueArbeitsplätze entstanden», sagt der Sprecher von Sachsen-AnhaltsWirtschaftsministeriums, Rainer Lampe. Dazu flossen 541 MillionenEuro für 84 Infrastrukturprojekte - 362 Millionen Euro gaben Bund,Land und EU.

Nicht anders ist es im Bergbau: Wo bis zur Wende mit gigantischenGeräten 60 Jahre lang pro Tag 32 000 Tonnen Braunkohle aus dem Bodengeholt wurden, lockt heute der Goitzsche-See zum Freizeitvergnügen.Und der zu DDR-Zeiten ironische Spruch: «Sehen wir uns nicht indieser Welt, dann sehen wir uns in Bitterfeld» wird nun Besuchern alsAufforderung zum Wiederkommen ans Herz gelegt.

Blick über Bitterfeld mit der katholischen (l.) und der evangelischen Kirche (r.). Zur Wende 1989/90 galt die Region als dreckigste in Europa. (FOTO: DPA)
Blick über Bitterfeld mit der katholischen (l.) und der evangelischen Kirche (r.). Zur Wende 1989/90 galt die Region als dreckigste in Europa. (FOTO: DPA)
dpa-Zentralbild