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Binnenschiffer Binnenschiffer: Endlich erlöst

Von KATRIN LÖWE 07.01.2011, 09:41
Ein Eisbrecher kämpft sich durch den Mittellandkanal. (FOTO: ANDREAS STEDTLER)
Ein Eisbrecher kämpft sich durch den Mittellandkanal. (FOTO: ANDREAS STEDTLER) CARDO

Vahldorf/MZ. - Er ist einer der ersten, die dem "Gefängnis im Eis" entkommen. Und wer Peter Rohling ins Gesicht sieht, der muss nicht fragen, was ihm das bedeutet. Der 40-Jährige aus Haren an der Ems (Niedersachsen) strahlt. "Natürlich bin ich erleichtert", sagt er. "Sehr!" Endlich kann es weitergehen. Ein Kunde in Brüssel wartet auf knapp 2 400 Tonnen Weizen, die der Binnenschiffer im Börde-Ort Vahldorf auf die 105 Meter lange "Annabell" geladen hat. Begeistert registriert Rohling das Schaukeln des Schiffes - ausgelöst durch Eisbrecher "Fürstenberg", der gerade neben der "Annabell" auf und ab fährt, um ihr freie Bahn zu verschaffen. Bis zu 25 Zentimeter dick ist die Eisschicht auf dem Mittellandkanal - ohne Hilfe ginge da noch gar nichts.

Zwei Wochen lang hat das Motorschiff festgesteckt. Rohling kam einen Tag vor Weihnachten in Vahldorf an, ehe der Frost gnadenlos zuschlug. Und das, nachdem der Schiffer zuvor schon eine Woche auf dem Neckar wegen Hochwassers aussetzen musste. Der Winter in all seinen Facetten hat früh zugeschlagen. Und auch wenn Rohling offenbar keiner ist, der gleich um seine Existenz bangt: Sorge bereitet hat ihm die unfreiwillige Pause sehr wohl. 1 700 Euro am Tag verliert der Binnenschiffer bei Stillstand. Ob sich das wieder kompensieren lässt? "Schwierig zu sagen." Es kommt darauf an, welche Frachten er in nächster Zeit erwischt. Und ob seine Wetterprognose eintrifft: "Ich glaube, es bleibt erst einmal wärmer." Zweckoptimismus. Aber als Binnenschiffer, sagt er, "da muss man auch Glück haben".

Von dem ist die Branche noch ein Stück entfernt. Nicht nur Rohling klagt, dass ihn die Wirtschaftskrise in den vergangenen zwei Jahren arg gebeutelt hat. "Die Branche hat sich bis heute nicht vollständig von der Krise erholt", sagt Sabine Freitag vom Bundesverband der Deutschen Binnenschiffahrt. Die auf dem Wasser transportierte Gütermenge sank 2009 um 17 Prozent, der Umsatz im Vergleich zum Vorjahr sogar um 24 Prozent. 2010 habe es zwar einen kontinuierlichen Mengenzuwachs gegeben, die Umsätze aber blieben auf dem Niveau von 2009, so Freitag.

Noch ist angesichts dieses Winters beim Verband trotzdem keine Katastrophenstimmung angesagt. Auf Unterbrechungen seien Binnenschiffer eingerichtet, bei Eis würden Lieferverpflichtungen ausgesetzt. "Die Umsatzeinbußen bleiben aber, das Risiko ist nicht versicherbar", sagt die Referentin. Idealerweise würden Binnenschiffer das über Rücklagen auffangen oder Eiszulagen mit Unternehmen vereinbaren. Und noch seien die wichtigsten Achsen auf Rhein, Donau, Main oder Elbe befahrbar geblieben. Auf der Elbe habe die Schifffahrt sogar Transporte der am Wetter gescheiterten Bahn aufgefangen, so Freitag.

Das große Aber: "Wir müssen uns nun auf Hochwasser einstellen." Das könnte auch den Verkehr auf den bisher verschonten Hauptachsen schwer belasten. Und den Winter doch noch zu dem machen, was Wetterfrösche prognostizieren: dem härtesten seit langem.

Peter Rohling wird er auf jeden Fall in Erinnerung bleiben. Es war sein erstes Weihnachtfest auf dem Schiff, erzählt er, "und sehr ruhig". Viel Zeit, um mit den Kindern zu spielen, die zu Besuch waren. Zum Jahreswechsel ist er für einige Tage nach Hause gefahren. Nur die Matrosen blieben. Eis musste abgeschlagen werden, um den Druck vom Schiff zu nehmen, die Heizung am Laufen gehalten werden. Zwei, drei Mal am Tag haben seine Mitarbeiter die Technik kontrolliert.

Das geht einigen so auf dem Mittellandkanal. Noch am Freitag hängen dort 27 Schiffe fest, viele unbeladen - da ist die Gefahr eines Eis-Lecks aufgrund des geringen Tiefgangs besonders groß. Die vierköpfige Crew der "Fürstenberg" bricht sich unterdessen mit 900 PS unterm Hintern erneut Bahn. Von Mal zu Mal geht es schneller voran, statt drei bis fünf Stundenkilometer am ersten Tag sind es schon zehn und mehr. Seit Mittwoch ist der Eisbrecher im Einsatz, vorher wäre die Decke zu schnell wieder zugefroren. Schiffsführer Werner Ortel kennt das Gefühl festzusitzen - wenn auch nicht mit der "Fürstenberg": Die würde einen halben Meter Eisschicht schaffen. Der 57-Jährige hat in den 80ern selbst als Binnenschiffer wochenlang in der Eis-Falle gesteckt. Mancher, den das jetzt trifft, sei schon gereizt, sagt Ortel. "Der Druck ist groß. Und die Möglichkeiten, sich ein Polster im Sommer anzusparen, sehr gering."

Ab Samstag soll der Mittellandkanal von Magdeburg in Richtung Niedersachsen wieder offiziell freigegeben werden. Ob tatsächlich alle Schiffe ablegen, ist indes offen. "Dass der Kanal freigegeben ist, heißt nicht, dass die Schifffahrt ungehindert möglich ist", sagt Dietmar Bloch von der Wasserschutzpolizei Magdeburg. Das Eis ist zwar mürber geworden und aufgebrochen, die Eisdicke hat sich aber trotz Tauwetters noch nicht groß verändert. Und manches Schiff sei durchaus in die Jahre gekommen, weniger robust.

Peter Rohling indes hat es geschafft, per Sondergenehmigung eher als die anderen. Im Schatten der "Fürstenberg" bis Wolfsburg. Am Sonntag will er auf dem Niederrhein sein - und er hat Hoffnung, dass ihn dort noch keine Hochwassersperrung erwischt.