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Bilanz der Landesregierung Sachsen-Anhalt Bilanz der Landesregierung Sachsen-Anhalt: Halbzeit mit Sonne Flut und Sturm

Von Kai gauselmann und Hendrik Kranert-Rydzy 14.10.2013, 17:25
Seit 2006 stellt auch in Sachsen-Anhalt ein schwarz-rotes Bündnis die Regierung. Seit 2011 ist Reiner Haseloff (CDU, rechts) Ministerpräsident, Jens Bullerjahn (SPD, links) ist Finanzminister. Wobei die Bezeichnung Große Koalition streng genommen gar nicht stimmt: Die SPD ist im Landtag hinter der Linken nur drittstärkste Kraft.
Seit 2006 stellt auch in Sachsen-Anhalt ein schwarz-rotes Bündnis die Regierung. Seit 2011 ist Reiner Haseloff (CDU, rechts) Ministerpräsident, Jens Bullerjahn (SPD, links) ist Finanzminister. Wobei die Bezeichnung Große Koalition streng genommen gar nicht stimmt: Die SPD ist im Landtag hinter der Linken nur drittstärkste Kraft. dpa Lizenz

Magdeburg/MZ - Am Tiefpunkt dieser Regierungszeit war die Stimmung prächtig. Hartmut Möllring sei ja vor kurzem noch Minister in Niedersachsen gewesen, stellte Ministerpräsident Reiner Haseloff (beide CDU) fest - um feixend hinzuzufügen: „Sein Motor ist noch warm.“ Finanzminister Jens Bullerjahn (SPD) nahm den neuen Wissenschaftsminister lachend in den Arm, dann stellten sich die Männer gut gelaunt den Fotografen. Haseloff und Bullerjahn fühlten sich als Macher, sie hatten durchgegriffen - und eine widerspenstige Frau von der politischen Bühne gekegelt: Wissenschaftsministerin Birgitta Wolff (CDU). Sie hatte sich dem Spardiktat zu deutlich widersetzt. Dafür wurde sie entlassen. Und die gut gelaunten Macher ernteten deswegen statt des erwarteten Beifalls: Einen Polit-Shitstorm mit Massenprotesten, wie sie das Land seit 1989 nicht mehr erlebt hatte.

Sparkurs ist "alternativlos"

Ein gespenstisches Timing: Die Wolff-Entlassung am 19. April dieses Jahres verkündete Haseloff fast auf die Minute genau zwei Jahre nachdem er im Landtag seinen Amtseid geleistet hatte. Damals hatte Haseloff noch behauptet: „Ich weiß, dass wir jetzt bei der Umsetzung des Koalitionsvertrages sehr sensibel sein müssen.“ Es werde „vernünftige Kompromisse“ geben, „die keinen überfordern“. Zwei Jahre später erklärt derselbe Haseloff seinen Sparkurs für „alternativlos“ und wirft die Wissenschaftsministerin raus, weil sie nicht spurt. In den ersten 24 Monaten hat der Ministerpräsident die Demut vor der Aufgabe verloren.

Seine Regierung hat durchaus einiges auf den Weg gebracht, zentrale Projekte aus dem Koalitionsvertrag wurden angegangen: Die Einführung der Gemeinschaftsschule steht ebenso auf der politischen Habenseite wie das Vergabegesetz, eine Justizstrukturreform und natürlich das neue Kinderförderungsgesetz (KiföG). Damit haben wieder alle Kinder in Sachsen-Anhalt unabhängig von der Erwerbssituation ihrer Eltern einen Anspruch auf eine Ganztagsbetreuung in der Kita. Das KiföG ist aber auch ein Knackpunkt dieser Regierungs-Halbzeit, es ist Segen und Fluch zugleich.

An das Kifög hatte die SPD das Zustandekommen der Koalition geknüpft. Was es kosten wird, stand zunächst ebenso in den Sternen, wie die tatsächliche Wirkung für eine bessere vorschulische Bildung. Sozialminister Norbert Bischoff (SPD) legte einen Entwurf vor, der so schlecht war, dass er von der eigenen Fraktion kassiert wurde. Und als Bischoff Zahlen präsentierte, wurde ihm davon selbst Angst und Bange: Bis zu 53 Millionen Euro pro Jahr, lautete die Prognose. Da stellte selbst Bischoff die Wiedereinführung des Ganztagsanspruchs in Frage. Und wurde erneut von der Fraktion überstimmt. Diese Politik hat Konsequenzen: Die gewaltigen Summen belasten nun jeden neuen Haushalt. Dem Etat drohen ohnehin drastische Einschnitte. Jährlich 200 Millionen Euro weniger stehen dem Land aufgrund sinkender Bundes- und EU-Zuschüsse zur Verfügung. Die KiföG-Millionen erhöhen nochmals den Spardruck.

50 Millionen bei Unis einsparen

Gespart werden soll nun etwa bei Blindengeld, Jugendarbeit und Theatern. Den Löwenanteil sollen die Unis bringen: 50 Millionen Euro - also recht genau die KiföG-Mehrausgaben. Erst geben, um dann mehr zu nehmen - das ist ein schlechtes Politik-Prinzip. Akzeptanz für einen unpopulären Sparkurs erhält nur, wer den Menschen das Gefühl gibt, dass es gerecht zugeht. Statt mit Gefühlen kamen Haseloff und Bullerjahn nur mit schlecht erklärten Zahlen - und ernteten Demonstrationen mit tausenden Teilnehmern. Selbst Parteifreunde gingen ihnen von der Fahne. SPD-Fraktionschefin Katrin Budde machte zeitweilig massiver Front gegen die Pläne als die Opposition. Und die Bundestags-Kandidaten der Koalitionsparteien CDU und SPD wurden nicht müde, sich vom Sparkurs zu distanzieren. Das Führungs-Duo hat aus dem heißen Sommer gelernt. Nun will auch Haseloff zumindest von den geforderten Einsparungen an den Hochschulen nichts mehr wissen. Die Summe 50 Millionen kommt ihm nicht mehr über die Lippen. Auch Bullerjahn nimmt sich zurück. Die Demut ist zurück. Wie es weitergeht, ist aber offen: Möllring arbeitet an einem Konzept, das es allen Recht machen soll.

Doch nicht nur der Spar-Kurs wirft Schatten auf die erste Hälfte dieser Regierungszeit. Auf der politischen Soll-Seite haben sich weitere Punkte angesammelt. Nur drei Beispiele: So haben die Koalitionäre in einem zunächst geheimen Protokoll zum Koalitionsvertrag vereinbart, sich - Sparkurs hin oder her - in den Leitungsetagen der Ministerien 45 zusätzliche Stellen zu gönnen. Und Haseloff brachte sich gelegentlich ohne Not selbst in die Kritik: Er lehnte die - später eingeführte - Kennzeichnungspflicht für Polizisten mit dem Hinweis auf die deutsche Geschichte ab. Den Verdacht, Judensterne gemeint zu haben, räumte er erst nach tagelanger Empörung ab. Und in einem Untersuchungsausschuss versucht die Opposition zu klären, ob Haseloff als Wirtschaftsminister bei der Vergabe von Fördermitteln in Dessau Druck ausgeübt hat.

So hat die erste Hälfte der Legislatur Licht und Schatten gebracht. Im zentralen Punkt - dem Sparkurs - ist noch nicht absehbar, wie es ausgeht. Also ein durchwachsenes Zwischenfazit. Am Dienstag zieht die Regierung selbst Halbzeit-Bilanz. Mit Selbstkritik ist eher nicht zu rechnen. Es wird von Erfolgen die Rede sein und dass man auf einem guten Weg sei, aber noch nicht am Ziel. Bei der Einordnung der regierungsamtlichen Bilanz wird der Satz helfen, mit dem Haseloffs Vorgänger Wolfgang Böhmer einst seine Arbeit als Ministerpräsident aufgenommen hat: „Keine Regierung ist so toll, wie sie sich selbst vorkommt.“

Eine Landtagssitzung im Magdeburger Plenarsaal
Eine Landtagssitzung im Magdeburger Plenarsaal
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