Bestattungsgesetz Sachsen-Anhalt Bestattungsgesetz Sachsen-Anhalt: Ein Platz für die verlorenen Kinder

Magdeburg - Zwischen all den schwarzen und grauen Grabsteinen unter alten Bäumen und neben vor dem Frühlingserwachen noch braunen Hecken sticht das Grabfeld Nummer 45 auf dem halleschen Südfriedhof hervor: Bunte Plastikwindräder rattern leicht in der Brise, an einer Stele lehnen Äffchen, Pferdchen und Zwerge aus Stoff. Und ein riesiger Bär, sein weißer Plüsch ist vom Regen ganz verfilzt, von der Sonne ganz bleich.
Er drückt einen kleinen Bären an seine Brust, als müsse er ihn schützen. Auf der Stele steht: „Da gibt es ein Land der Lebenden und da gibt es ein Land der Toten. Die Brücke zwischen ihnen ist die Liebe.“ Das ist das Feld der verlorenen Kinder. Hier bestattet die katholische Klinik St. Elisabeth und St. Barbara in Halle alle Kinder, die einen Todes-, aber keinen Geburtstag haben. Fehlgeburten.
Diakon Reinhard Feuersträter kümmert sich um diese „ungelebten Leben“, wie der 62-Jährige formuliert. Zweimal im Jahr hält er dort eine Trauerfeier ab, bei Sammelbestattungen von Fehlgeburten, für die die Klinik die Kosten übernimmt. Das Elisabeth-Krankenhaus ist mit jährlich gut 2 .000 Geburten die Baby-Klinik Nummer eins in Sachsen-Anhalt. Jährlich gibt es aber auch etwa 100 Fehlgeburten; wenn ein Fötus im Mutterleib abstirbt. „Ich spreche da grundsätzlich von Kindern“, sagt der Seelsorger des Krankenhauses.
Fehlgeburt nur Klinikmüll?
Das Bestattungsgesetz Sachsen-Anhalt bestimmt Fehlgeborene nüchtern-technisch: „Ein Fehlgeborenes ist eine menschliche Leibesfrucht, welche nach vollständigem Verlassen des Mutterleibes kein Lebenszeichen aufweist und weniger als 500 Gramm wiegt.“
Fehlgeborene können auf Wunsch der Eltern bestattet werden - müssen es aber nicht. Was dann? „Sie sind in gesundheitlich unbedenklicher Weise und entsprechend den herrschenden sittlichen Vorstellungen zu beseitigen, sofern sie für wissenschaftliche oder andere Zwecke nicht oder nicht mehr benötigt werden“, heißt es im Gesetz. Im Klartext bedeutet das, dass Kliniken die Fehlgeburten mit dem Krankenhausmüll entsorgen können.
Das will die Linksfraktion ausschließen. „Keine Leibesfrucht soll mit dem Klinikmüll entsorgt werden dürfen“, sagt Fraktionsvize Eva von Angern. „Wir fordern, dass jede Leibesfrucht unabhängig vom Willen der Eltern sowie Größe und Gewicht bestattet wird.“ Das sei ein ethischer Ansatz. „Die Menschenwürde gilt auch für Föten ab der Zeugung.“
Wie die verschiedenen Parteien in Sachsen-Anhalt zum aktuellen Bestattungsrecht stehen, lesen Sie auf Seite 2.
Dieser Ansatz wirft große Fragen auf. Wieviel wiegt eine Seele? Ab wann ist diese Leibesfrucht ein Mensch? Das sind die biologischen Fakten: Ab der dritten Schwangerschaftswoche schlägt das Herz eines Fötus. Ab der 15. ist das Geschlecht bestimmbar. In der 22. Woche nähert es sich der gesetzlichen 500-Gramm-Grenze. In der Regel sind die Ungeborenen etwa 27 Zentimeter groß und 430 Gramm schwer. Auf Ultraschallbildern kann man das Gesicht erkennen. Die Augen sind fast fertig, nur der Iris fehlen noch die Pigmente.
Diakon Feuersträter nimmt erfreut zur Kenntnis, dass sich die Linke „der Sicht der Kirche annähert, dass es um Menschen geht von Anfang an“. Die Aussicht, dass sich der Linken-Vorstoß durchsetzt ist dennoch gering. Ausgerechnet die Christlich Demokratische Union (CDU) sieht das anders als die Linke und der Geistliche. „Wir wollen, dass Eltern die Wahl haben und es möglich ist, diese Kinder zu bestatten“, sagt CDU-Fraktionschef André Schröder. Das gebe die Rechtslage aber schon her, einen „Bestattungszwang“ will er nicht. „Wenn man eine Bestattung erzwingt, hat man auch die Kosten und die Bürokratie.“
Trauerarbeit ist enorm wichtig
Die theoretische Wahlfreiheit hält der Praxis oftmals nicht stand. „Ja, das Bestattungsrecht gibt es“, erklärt Feuersträter, „aber machen wir uns nichts vor: Viele können das nicht bezahlen.“ Sarg, Bestatter, Friedhofsgebühren - es kämen schnell Kosten von bis zu 1.000 Euro zusammen. Für junge Paare, die gerade eine Familie gründen wollen, sei das oft zu viel. Und ohne Bestattungspflicht übernimmt das Sozialamt auch nicht die Kosten.
Unabhängig von der Würde des Ungeborenen hält Seelsorger Feuersträter eine Bestattung der Fehlgeburten für die betroffenen Eltern für enorm wichtig. „Ein gelungener Abschied ist der wichtigste Einstieg in die Trauerarbeit.“ Zum Trauern brauche es aber auch Zeit - und einen Ort. „Deshalb sind Friedhöfe so wichtig.“ Eine individuelle Bestattung sei wünschenswert. Aber auch mit der Sammelbestattung hätten die Betroffenen einen Ort zum Trauern.
Für die Frauen sei das Problem, dass die Gesellschaft Fehlgeburten nicht als Kinder ansehe. „Für die Frau, für die Eltern, ist das aber das Kind, auf das sie sich gefreut haben und für das sie Pläne hatten.“ Er rät auch allen Eltern, dem toten Kind trotzdem einen Namen zu geben.
Und die Klinik legt eine Erinnerungsmappe für die Eltern an, mit Fotos sowie Fuß- und Handabdrücken des Babys, so das möglich ist. Feuersträter fordert die Eltern auch auf, kleine Holzklötze zu gestalten, die dann in der Klinik-Kapelle als Erinnerung aufbewahrt werden. So hinterlässt auch das ungelebte Leben Spuren. Ziel der Trauerarbeit ist, den Verlust zu akzeptieren und nicht zu verdrängen.
„Das ist ein Teil ihres Lebens und das wird so bleiben“, sagt Feuersträter. Neulich sei eine 70-Jährige in sein Büro gekommen und habe um ein Erinnerungs-Klötzchen gebeten. „Ich dachte erst, das sei eine Oma.“ Es war eine Mutter, die ihr Kind vor 50 Jahren verloren und das nicht verarbeitet hatte. „Dafür fehlte der Ort.“ Ihr Fehlgeborenes war mit dem Klinikmüll entsorgt worden. (mz)
