Berlin Berlin: Der Palast der Republik überlebt als Mythos
Berlin/MZ. - "All die ganzen Schlageraffen" durften da singen, "nur der kleine Udo nicht", beklagte sich der Popkünstler Lindenberg in seinem Lied "Sonderzug nach Pankow". Es ging um den Palast der Republik im Herzen von Ostberlin, "Erichs Lampenladen", wie der gewaltige Betonklotz gegenüber dem Lustgarten auch heißen sollte.
Stoßseufzer an Honey
Wer immer sich diesen Spitznamen auch ausgedacht hatte, vielleicht waren es ja die SED-Genossen selber. Adressat des gesungenen Stoßseufzers war jedenfalls der DDR-Lenker Erich Honecker, von Lindenberg liebevoll "Honey" genannt. Das begab sich 1983, Honecker wie Lindenberg waren auf der Höhe ihres Ruhms, der Palazzo Prozzo stand trutzig wie Hermann der Cherusker im Teutoburger Wald und bei dem Wort Asbest dachte niemand an etwas Böses.
Der Weststar Lindenberg durfte noch im Herbst des gleichen Jahres im Palast auftreten. Honeckers Einheitspartei hatte geschickt wie selten die Flucht nach vorn angetreten, Lindenbergs Fans kam es wie ein Sieg vor. Im Übrigen stand der Palast beim Volke durchaus in gutem Ansehen: Tagte die Volkskammer, das DDR-Parlament, hielt sich das Interesse zwar in Grenzen. Steppten im Großen Saal knapp bekleidete Frauen vom Fernsehballett, war die Freude umso größer.
Und mancher, der mit der größten und schönsten DDR der Welt gar nicht so viel am Hut hatte, wusste doch die "gastronomischen Einrichtungen" und die Weinstube im "Ballast der Republik" zu schätzen. Das Ende kam dann schneller als gedacht - und zutiefst symbolisch: Die erste frei gewählte Volkskammer der DDR beschloss die Schließung des mit Asbest verseuchten Gebäudes. Dabei blieb es - und unversehens war ein Mythos in die Welt gesetzt, wohl unvermeidlich.
Ideale Projektionsfläche
Es war abzusehen, dass der Palast von Parteigängern wie Gegnern des ostdeutschen Staates im Gleichschritt zur Ikone stilisiert werden würde. Nicht zu vergessen Denkmalschützer, Künstler, Soziologen - das zum Abriss verurteilte Haus bietet Aktivisten aller Sparten eine vortreffliche Projektionsfläche. Ideologen sowieso. Und es erwies sich als tauglicher Ort für die Kunst. Aber es hat von Anfang an, also seit dem Ende der DDR, am politischen Mehrheitswillen gefehlt, den später ausgeweideten und sanierten Palast zu retten. Das lag nicht allein an den Schloss-Befürwortern, die den 1950 gesprengten Preußenbau an Stelle der Kommunisten-Burg sehen wollen. So frisst Geschichte Geschichte auf.
Freilich würde es gut sein, eine Diskussion darüber zu führen, ob man dann, wenn Zeiten sich wenden, die Denkmale des eben Vergangenen entsorgen oder nicht lieber bewahren soll. Aber wäre dann der Palast nicht von Anbeginn delegitimiert gewesen? Wahrscheinlich ist auch, dass die ehemaligen "Besitzer", das arbeitende Volk, des Themas inzwischen überdrüssig sind. Wer Arbeit hat, findet auch neues Vergnügen. Wer keine hat, wird von anderen Sorgen bedrückt. Aber die Jungen hätten sich den traurig wirkenden Riesen wohl als geilen Tanzschuppen vorstellen können.
So bleibt der ostdeutschen Palastruine, die sich 2004 der mächtige Männerbund des Bundesverbandes der Deutschen Industrie für ein Treffen erkor, wohl keine Zukunft - bis auf die künftige Erinnerung an die Befangenheit, Geschichte als gelebtes Leben zu akzeptieren. Unter den gegebenen Umständen ist Abriss die beste Lösung. Was nicht heißt, dass man sich keine bessere hätte wünschen können.