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Behindertensport Behindertensport: Erfolg am Schnürsenkel

Von GOTTFRIED SCHALOW 05.03.2010, 20:56

HALLE/MZ. - Schließlich kann er auch nicht jedem und immer wieder aufs Neue erklären, dass er keineswegs einen schrillen Modespleen spazieren trägt. Ziegler hat vielmehr herausgefunden, dass er mit dem einfachen Hilfsmittel Sonnenbrille besser durch die veränderten Lichtverhältnisse im Winter kommt. "Schnee, auch einfacher Schneeregen blendet einfach und tut meinen Augen zusätzlich weh", sagt Jonas Ziegler. Der jetzt 18 Jahre alte Sportler leidet seit sechs Jahren an einer seltenen Augenkrankheit.

Schwarzer Fleck im Blickfeld

"Von einem Tag auf den anderen hatte mein Sohn plötzlich einen schwarzen Fleck mitten in seinem Blickfeld. Wie die Ärzte nach anderthalb Jahren und vielen Untersuchungen feststellten, ist diese Erkrankung zur Zeit irreparabel", erzählt sein Vater Andreas Ziegler die Vorgeschichte.

Heute fällt es Jonas Ziegler leicht, über diese schwere Zeit zu reden. Und dazu gehört auch, dass er "erst einmal so richtig niedergeschlagen" war. Doch er blieb nicht lange im stillen Kämmerlein sitzen, um mit seinem Schicksal zu hadern. Das Leben sollte so normal, wie es eben möglich war, weitergehen. Im Sport, ganz speziell in der Leichtathletik, fand er Halt und ganz schnell auch Erfolgserlebnisse.

Jonas Ziegler hatte schon als Kind jede Menge Talent für die Laufstrecken. Intensiv wurde diese Beziehung jedoch erst, nachdem seine Augenkrankheit festgestellt wurde. In der Trainingsgruppe der sehbehinderten und blinden Läufer beim SV Halle. Anfangs übernahm sein Vater mehrmals in der Woche die notwendigen Fahrdienste von und zum Heimatort Jeßnitz. Inzwischen wohnt der 18-jährige Sportler im Internat in Halle und ist mitten in der Ausbildung zum Masseur. "Die Wege zum Leichtathletik-Stadion und in die Laufhalle sind sehr kurz geworden. Das ist auch eine Erklärung für meinen Leistungssprung", sagt Jonas Ziegler.

Mit Leistungssprung untertreibt er reichlich, er hätte eigentlich von einer Leistungsexplosion sprechen müssen. Sie führte zur Silbermedaille über 200 Meter bei der Jugend-Weltmeisterschaft im Herbst im US-amerikanischen Colorado und zu Bronzemedaillen über 100 und 400 Meter. Am Wochenende ist nun erstmals Gelegenheit, seinen Freunden die Medaillen zu zeigen. Und er will beweisen, dass mit ihm auch bei den nächsten Höhepunkten zu rechnen ist: Bei der Weltmeisterschaft 2011 in Neuseeland und bei den paralympischen Spielen 2012 in London. Jonas Ziegler verhehlt nicht, dass die Reiseziele auch Motivation sind. "Der Flug in die USA war meine erste große Auslandsreise überhaupt. Der Sport gibt mir die Chance, schon als ganz junger

Mensch die Welt zu entdecken." Eine Chance, die er sich durch jahrelanges hartes Training erarbeitet hat.

Aufräumen mit Vorurteilen

Detlef Rüprich, der Landestrainer beim Behinderten- und Rehabilitations-Sportverband Sachsen-Anhalt räumt dann auch mit einem Vorurteil auf: "Es war sicherlich mal so, dass Talent plus ein, zwei Trainingseinheiten in der Woche ausgereicht haben, um in der Weltspitze der Behindertensportler zu landen. Aber heute geht ohne tägliches Training gar nichts mehr. Es gibt kaum noch Unterschiede zu den nicht-behinderten Sportlern." Thomas Prochnow, der als Trainer die für Sachsen-Anhalt startende Andrea Eskau zur Goldmedaille bei den Paralympics 2008 in Peking geführt hat, rechnet vor: "Dazu ist sie 50 000 Trainingskilometer auf ihrem Handbike gefahren."

Wesentliche Unterschiede gibt's dafür bei den Trainingsmöglichkeiten und den Trainingsgeräten. Vieles muss von den Athleten vorfinanziert werden, bei entsprechendem Leistungsnachweis ist dann finanzielle Unterstützung durch die Stiftung Behindertensport Sachsen-Anhalt, die erste und einzige ihrer Art in Deutschland, möglich.

Vieles ist im täglichen Training aber auch einfach Marke Eigenbau. So zum Beispiel ein handelsüblicher Schnürsenkel. Philipp Töpfer und Lars Lippek binden sich damit an den Handgelenken zusammen und drehen anschließend so gemeinsam ihre Trainingsrunden. Töpfer ist der so genannte Guide, der Begleitläufer, der auf jede Tempovorgabe reagieren muss, Lippek ist ein blinder Läufer aus der Trainingsgruppe um Jonas Ziegler, der ebenfalls berechtigte Chancen hat, bei den Paralympics 2012 an den Start zu gehen.

"Wir richten schon zum dritten Mal die deutschen Meisterschaften in der Behinderten-Leichtathletik hier in Halle aus. Auch dieses Jahr nehmen wir keinen Eintritt, weil wir hoffen, dass sich viele behinderte Menschen die Wettkämpfe anschauen, und für sich die Freude am Sporttreiben entdecken", sagt Detlef Rüprich. Sportliche und finanzielle Vorleistungen sind nicht nötig. Die Beispiele Ziegler und Lippek zeigen, dass man auch mit Schnürsenkel und Sonnenbrille ans Ziel kommt.