Außergewöhnliche Familiengeschichte Außergewöhnliche Familiengeschichte : Erste Kinder mit zwei Vätern in Geburtsurkunde?

Neuss - Die Zwillinge Alisha und Anna sind in Hochform. „Da, da“, kiekst die anderthalbjährige Anna. Und hangelt sich in der Küche in luftiger Höhe von einem Kinderstuhl in den danebenstehenden Kinderstuhl ihrer Schwester. „Die haben nur Unsinn im Kopf und klettern für ihr Leben gern“, sagt ihr Vater Jürgen Haase, 47, lachend. So zwei kleine Mädchen im Entdeckeralter halten auf Trab. Die vierjährige Yasmin schleppt ihre Schwestern aus der Küche ins Wohnzimmer des Hauses in Neuss. „Papa, ich mach uns eine CD an“, verkündet sie, ganz große Schwester.
„Bei uns ist es immer turbulent. Wir sind so froh und dankbar, dass wir die drei haben“, sagt Axel Haase. Dass sie zwei Papas hat - Papa Axel und Papa Jürgen - und es bei anderen eine Mama gibt, hat Yasmin im Kindergarten früh mitbekommen. „Papa, andere Kinder haben eine Mama. Warum habe ich denn eigentlich keine?“, fragte die aufgeweckte Kleine nach kurzer Zeit. Und war mittendrin in ihrer außergewöhnlichen Familiengeschichte: Die Haases - seit 28 Jahren ein Paar - haben ihre Kinder von Leihmüttern in Indien und Kalifornien austragen lassen. Zuvor wurden die Eizellen von einer Eizellenspenderin mit dem Samen von Axel Haase befruchtet und jeweils anderen Leihmüttern eingesetzt. Yasmin weiß, dass sie als kleiner Punkt im Bauch einer Frau in Indien gewachsen ist und sich ihre Papas nichts sehnlicher gewünscht haben als genau sie. „Wir sind eine Familie mit zwei Vätern, drei Kindern und vier Müttern“, sagt Jürgen Haase lächelnd. „Und die Kinder sind wohl die ersten in Deutschland, in deren Geburtsurkunde zwei Väter stehen werden.“
Warum eine Leihmutterschaft in Deutschland unmöglich war und wo Jürgen und Axel Haase schließlich die Leihmütter für ihre Kinder gefunden haben, lesen Sie auf Seite 2.
Leihmutterschaft in Deutschland verboten
Leihmutterschaft ist in Deutschland - anders als in den USA oder Indien - als sittenwidrig verboten. Die Mutter des Kindes ist die Frau, die das Kind geboren hat, so heißt es im Bürgerlichen Gesetzbuch. Wer eine Leihmutterschaft vermittelt, macht sich strafbar. Das Verbot soll dem Wohl von Mutter und Kind dienen und begründet sich in der Sorge, dass Leihmutter-Kinder unter Identifikationsproblemen leiden könnten. Zudem soll es Konflikten vorbeugen, wenn Leihmütter die Kinder behalten wollen.
Yasmin schleppt dem Besuch ihr Fotoalbum an: Yasmins erstes Jahr, steht da drauf. Für jedes Lebensjahr seiner Kinder stellt Axel Haase, 48, ein solches Buch zusammen, „damit sie ihre Geschichte ganz intensiv nachverfolgen können“. Die Bilder zeigen den kleinen Wonneproppen mit den braunen Kulleraugen und der schwarzen Wuschelmähne mal auf dem Arm ihres Vaters, mal am Strand von Mumbai, mal umringt von indischen Spielkameraden in der Wohnung. „Das bin alles ich“, verkündet Yasmin stolz.
Drängender Wunsch, Vater zu sein
Da Leihmutterschaft in einigen Ländern erlaubt ist, wird sie für immer mehr deutsche Paare mit unerfülltem Kinderwunsch eine Option, den Traum vom eigenen Kind zu realisieren. Es gibt regen Leihmutter-Tourismus etwa nach Indien oder Kalifornien, wo sich Agenturen darauf spezialisiert haben. Es ist nicht so, dass Leihmutterschaft für die Haases von vornherein die Option der Wahl war. „Ich bin katholisch erzogen, das prägt“, sagt Axel Haase. Zumal im eher konservativen Neuss. Aber da war diese starke innere Sehnsucht nach Elternschaft. „Nach dem Krebstod meines Vaters 2005, den ich bis zum Ende gepflegt habe, wurde der Wunsch immer drängender. Ich ging auf die 40 zu. Für mich tickte die innere Uhr.“ Das Neusser Jugendamt, bei dem sie sich nach Möglichkeiten erkundigten, winkte ab. Es blieb die Hoffnung Auslandsadoption. Zwei Jahre lang reisten Axel und Jürgen immer wieder nach Ruanda und besuchten dort ein Kinderheim. Mehrere Monate lebten sie vor Ort, um Vertrauen zu schaffen, aber schließlich winkten die Verantwortlichen des Heims ab. Zu groß waren wohl die Vorbehalte gegen das Männerpaar aus Deutschland. „Für mich war das die Botschaft ,Ihr seid es nicht wert’“, erinnert sich Axel Haase an diese große Kränkung.
Wie zäh der Kampf um einen deutschen Pass für Jasmin war und warum Axel Haase über Monate mit seiner Tochter in Mumbai festsaß, lesen Sie auf Seite 3.
Zäher Kampf um einen deutschen Pass
Ein Zeitungsartikel brachte sie auf das Thema Leihmutterschaft in Indien. „Klar hatten wir am Anfang Vorbehalte“, sagt Jürgen Haase. Zumal zu so einem umstrittenen Thema wie Leihmutterschaft ja jeder eine Meinung habe. Die Haases reisten nach Indien, wollten sich von der Seriosität der Agentur überzeugen. „Wir wollten sicher sein, dass die Frauen nicht ausgebeutet werden. Da hätte ich nicht mit leben können“, stellt Jürgen Haase klar. Im zweiten Versuch ist die Leihmutter schwanger. Zur Geburt ihrer Tochter Yasmin reisen die Männer nach Indien.
Dass es eineinhalb Jahre dauern würde, bis sie alle gemeinsam in Neuss sein würden, hätten sie sich nie träumen lassen. So lange weigert sich das deutsche Konsulat, einen Reisepass für das Baby auszustellen. Ohne das Dokument kann Yasmin Indien nicht verlassen. Während Jürgen heimreist, um als Geschäftsführer einer Papierhandelsagentur weiterzuarbeiten, harrt Axel mit dem Baby aus. „Ich wusste, wofür ich das tue“, sagt er nun über die Zeit, in der er sich in Indien gefangen fühlte.
Yasmin kuschelt sich an ihn. Wenn sie wie heute gemeinsam in dem Album aus der Zeit in Indien blättern, betont er auch die schönen Momente dieser bedrückenden Monate: die Gemeinschaft mit den Menschen im Haus in Mumbai, Yasmins erste Schritte. „Sie konnte mit neun Monaten schon skypen“, erzählt er stolz. Längst haben da Rechtsanwälte und Gerichte das Wort. „Axel Haase gegen den Bundesaußenminister Guido Westerwelle“ steht auf den Briefen. Er kämpft für einen deutschen Pass für Yasmin. Und gegen die Zeit: Daheim in Deutschland ringt seine Mutter mit dem Tod. Er, weit weg in Indien, schickt Bilder von der Enkelin und hofft sehnlichst, seine Mutter noch mal zu sehen. Vergeblich. Als sie beerdigt wird, sitzt Axel Haase noch immer in Mumbai.
Auswärtiges Amt will keine Präzedenzfälle schaffen
Für das Auswärtige Amt ist das Thema heikel: Man will keine Präzedenzfälle schaffen, auf die sich andere Leihmütterväter beziehen können. Am Ende schließt das Auswärtige Amt mit dem Paar vor dem Verwaltungsgericht Berlin einen Vergleich. Nach 18 Monaten darf Axel mit Yasmin und einem deutschem Pass ausreisen. Das Standesamt Neuss weigert sich aber, „die verbotene Leihmutterschaft durch einen Eintrag in die Geburtsurkunde zu legalisieren“. Doch das Oberlandesgericht Düsseldorf sieht es als erwiesen an, dass Axel Haase der biologische Vater ist, und entscheidet, dass er ins Geburtsregister einzutragen ist. Gerade steht das Stiefkindverfahren an: Jürgen Haase will Yasmin adoptieren. Wenn das abgeschlossen ist, gibt es eine neue Geburtsurkunde, in der sie beide als Väter eingetragen sind.
Trotz der ganzen Schwierigkeiten steht für die Haases schnell fest: „Ein Kind ist kein Kind. Wir sind beide auch mit mehreren Geschwistern aufgewachsen“, sagt Jürgen Haase. Nie wieder Indien, das ist klar. Das Paar entscheidet sich für die USA, wo Leihmutterschaft etwas Alltägliches ist. Jedoch deutlich teurer: Unter 100.000 Dollar ist eine Leihmutterschaft in den Vereinigten Staaten nicht zu haben. Sie lernen in Kalifornien sowohl die Leihmutter als auch die Eizellenspenderin persönlich kennen. Diesmal können sie problemlos mit den Kindern ausreisen. „Bis heute verbindet uns zu der Eizellenspenderin - also der Mutter der Zwillinge - eine gute Verbindung. Wir schreiben regelmäßig und treffen uns auch.“ Dass die Zwillinge, die anders als Yasmin, bei der die Leihmutterschaft anonym verlief, ihre mütterlichen Wurzeln kennenlernen, ist den Haases wichtig. Ihnen ist klar, dass da etwas bleibt, was sie Yasmin nicht beantworten können. Was diese Lücke ihrer Identitätsfindung für das Mädchen einmal bedeuten wird, weiß niemand. „Wir haben damals geglaubt, wir hätten keine andere Wahl. Es gibt ja in Deutschland keine Stelle, wo man sich beraten lassen kann.“ Nach Indien wollen sie nächstes Jahr mit der Vierjährigen reisen, um ihr das Land ihrer biologischen Mutter näherzubringen.
Wie die beiden Väter weiterhin für ihre Rechte kämpfen wollen und welche Schwierigkeiten es noch immer mit den deutschen Behörden gibt, lesen Sie auf Seite 4.
Urteil steht noch aus
Das Familiengericht in San Diego hat Axel und Jürgen beide als Eltern anerkannt, und das Familiengericht in Neuss hat das US-Urteil anerkannt. Trotzdem weigert sich das Standesamt, für die Zwillinge Geburtsurkunden auszustellen. Das daraufhin angerufene Amtsgericht Düsseldorf gibt den Haases recht, worauf das Standesamt das Oberlandesgericht angerufen hat. Dessen Urteil steht noch aus.
Wenn die Haases mit ihren drei quirligen Mädels unterwegs sind, sind sie eine Attraktion. So groß die Vorbehalte der meisten Menschen gegen Leihmutterschaft an sich seien, so groß sei der Zuspruch, wenn die Eltern mit den Kindern auflaufen. „Dann sehen die Menschen einfach nur die drei wunderbaren Kinder“, sagt Axel Haase, der seine Berufstätigkeit für die nächsten Jahre aufgegeben hat, um sich nur den Mädchen zu widmen. Die Rechtsstreitigkeiten, die viel Ressourcen kosten, sind für ihn auch eine politische Arbeit. „Ich bin genug im Leben diskriminiert worden.“ Er möchte den Beleg dafür, dass die Ämter, die ihnen die gemeinsame Vaterschaft streitig machen wollen, „noch nicht einmal juristisch recht haben“.
Moralisch und ethisch heikel
Experten für Internationales Familienrecht wie Tobias Helms, Professor für Bürgerliches Recht an der Uni Marburg, bewerten Leihmutterschaft als moralisch und ethisch heikel. Trotzdem müsse der Staat Rechtssicherheit schaffen für diese Kinder. Aus dem Justizministerium heißt es, man sei sich „der rechtlich schwierigen Situation für Kinder von Leihmüttern bewusst“. Die Bundesregierung unterstützte Bestrebungen, hierzu ein internationales Rechtsinstrument auszuarbeiten.
Während Alisha und Anna über die Küchenbank turnen, schleppt Yasmin ein Buch an, das Papa Axel unbedingt vorlesen soll. Jürgen Haase schmiert Butterbrote mit Schinkenwurst fürs Abendbrot. „Tschüss“, ruft Alisha immer wieder begeistert. „Das hat sie heute zum ersten Mal gesagt“, sagt Axel Haase mit Vaterstolz. (mz)