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Ärger über Bürokratie Ärger über Bürokratie: Verleger ist der Querkopf von Quedlinburg

Von Steffen Könau 22.04.2003, 20:05

Quedlinburg/MZ. - Der Taunus war soweit weg wie der Mond. Zu weit im Westen für einen aus dem Osten, zu sauber, zu fertig. "Ich hatte das Gefühl", sagt Uwe Gerig, "dass dort nichts mehr zu bewegen ist." Mitte der 90er Jahre war das. Gerig, Fotograf und Buchautor, hatte sich prima eingerichtet, seit er 1983 in den Westen gegangen war, auf der Flucht vor einem System, das der Reporter der DDR-Illustrierten NBI als verlogen empfindet. Auf der Flucht auch vor Mitverantwortung: "Ich wollte nicht mehr mitschuldig werden."

Die DDR aber trägt er mit sich wie die Sehnsucht nach einer Rückkehr in den östlichen Teil Deutschlands. Gerig, ein präsidialer Mann mit gemessenen Gesten, wirbt im Westen schon für den Osten, als sich dort "keiner dafür interessiert, was hinter dem Stacheldraht ist". In Ausstellungen zeigt er die Realität der Mauer, in Büchern wirbt er für Besuche in der DDR, "um den Kontakt nicht abreißen zu lassen". Zur Wende ist Uwe Gerig einer der ersten, der zurückkehrt. "Ich hatte das Gefühl, hier passiert etwas Epochales", erinnert er sich. Er, der eben noch als Journalist in Lima Reportagen über die Elendsquartiere geschrieben hat, gründet einen Verlag, bringt Bücher über Land und Leute heraus. "Es war eine richtige Euphorie damals, ein Aufbruch." Der Gerig schließlich zurückführt nach Quedlinburg, die Gegend seiner Kindheit.

Er will helfen, die Ruinen verschwinden zu lassen. Zwei Häuser kauft Gerig, die aus vermoderten Balken bestehen. Bei Freunden wirbt er darum, ebenfalls in der Stadt am Harz zu investieren. Es ist die Zeit, in der alles möglich scheint: Der Osten unbürokratisch, die Menschen engagiert. "In einem Jahr waren die beiden Gebäude wunderschön wieder aufgebaut", schwärmt Gerig. Erinnerungen, die ihm heute schmale Lippen machen. Denn das Erwachen folgt. Zwischen hohen Bücherwänden sitzt der grauhaarige Mann, und die Frustration lodert ihm aus den Augen. Zu viele Bremser, zu viele Vorschriften-Reiter! Überall sind sie, und knebeln die paar Leute, die noch etwas unternehmen wollen.

Sagt Uwe Gerig, der heute ein gutgehendes Touristikunternehmen mit Hotel mitten in Quedlinburg führt. Er trifft sie täglich, die Pollerbauer, Denkmalkaputtschützer, Nie-Entscheider. Und er ist keiner, der leise unter ihnen leidet. Als sie ihn zwangen, sein Haus "grässlich kackbraun anzumalen", wie er sagt, widersprach er, obwohl es ihn den Platz in der Denkmalliste kostete. Als ein anderes Projekt im Verwaltungsgetriebe zerrieben zu werden drohte, plakatierte er die Namen der Verantwortlichen in der Fußgängerzone. Und als sein Antrag, Hotel-Gäste vor dem Hotel vorfahren lassen zu dürfen, abgeschmettert wurde, klagte er.

Keine Kämpfe, die Freunde schaffen. Und nun hat sich der Quedlinburger seine Erfahrungen mit der neuen Generation der alten Bürokraten auch noch in einem ätzenden Buch namens "Verblühende Landschaften" von der Seele geschrieben. Zwar schütteln ihm jetzt Fremde auf der Straße die Hand, "weil das endlich mal einer offen ausspricht", wie Gerig zitiert. Doch für Stadt- und Kreisverwaltung ist der Unternehmer ein rotes Tuch.

Was ihn nicht anficht. Müsse sich denn in den neuen Ländern das schlechte Erbe der DDR mit den miesen Charakterzügen der alten BRD vermählen?, fragt er. "Das ist es, was mich auf die Palme bringt", sagt er, und meint Beamte, die Spielräume nicht nutzen, Amtsträger, die Angst vor Ärger haben. Gerig sprudelt Zahlen, Namen und Daten heraus von geflüchteten Investoren, verschreckten Besuchern, entmutigten Erben. "Ja, es hat sich ein Nebel des Entsetzens über diese Stadt gelegt."

Von Aufbruch keine Spur. Stattdessen Abducken, Aussitzen. Der Querkopf von Quedlinburg verweist auf seine Häuser, sein Hotel, den rekonstruierten historischen Schuhhof: "Nicht durch, sondern trotz dieser Leute entstanden", sagt er. Wie viel mehr könnte es sein? Ohne "renitente Reste der DDR" in den Amtsstuben? Mit einem "kritischen Bürgertum als Gegengewicht zu den Bürokraten"? Uwe Gerig schaut aus dem Fenster, wo gerade für viel Geld neue unnütze Poller aufgestellt wurden. "Nein, ich könnte niemandem mehr empfehlen, hier zu investieren."

Verblühende Landschaften, Ruth-Gerig-Verlag, 176 Seiten, ISBN 3928275976, 16 Euro