1. MZ.de
  2. >
  3. Mitteldeutschland
  4. >
  5. Archäologie: Archäologie: Verschollenes Herz von Carl Loewe entdeckt?

Archäologie Archäologie: Verschollenes Herz von Carl Loewe entdeckt?

Von Ralf Böhme 11.03.2012, 18:31

Eisleben/Stettin/MZ. - Berge von Fotos in Schwarz-Weiß liegen auf dem Tisch. Der Arzt und Musikforscher Andreas Porsche interessiert sich aber nur für die Bilder, die das Innere der Jakobi-Kirche im polnischen Stettin zeigen. Die Aufnahme einer Backstein-Säule nimmt ihn besonders in Anspruch. Immer wieder greift der Mann aus Eisleben (Mansfeld-Südharz) zu einer extrem starken Lupe. Wie ein Kriminaltechniker geht er dabei vor - Zentimeter für Zentimeter. "Hier, hinter diesen Steinen, muss der Platz gewesen sein." Es geht um den Platz, wo das Herz des Komponisten Carl Loewe (1796-1869) liegen soll. Die Reliquie ist verschollen seit dem Zweiten Weltkrieg.

Ein überraschender Fund nährt jetzt neue Hoffnung. Restaurateure in Stettin sind in der wieder aufgebauten Kirche zwischen altem Backstein zufällig auf einen geheimnisvollen Sandstein-Quader gestoßen. 46 Zentimeter hoch, im Inneren eine Urne aus Metall. Dort drin könnte das Herz des Musikers liegen.



Der Fundort befindet sich im Südflügel der katholischen Basilika, mit ihrem 110 Meter hohen Turm das Wahrzeichen der Hansestadt. Bei diesem Wallfahrtsort handelt es sich um die ehemalige protestantische Kirche - 46 Jahre lang der Arbeitsplatz Loewes als Organist. Porsche versetzt die Nachricht aus Polen in Begeisterung. Er hofft, dass damit ein Rätsel der deutschen Musikgeschichte gelöst werden kann. Gewissheit gibt es aber noch nicht. Es gibt zwar ein Herz, aber ist es wirklich das von Carl Loewe? Beweise sind gefragt - und damit gerät das Ganze zum Krimi.



Die Untersuchungskommission, die in Polen ein Echtheitsgutachten erarbeiten soll, hat ausländische Experten um Hilfe gebeten. Porsche und seine Mitstreiter von der Internationalen Carl-Loewe-Gesellschaft gehören dazu. Niemand weiß besser Bescheid über Leben, Werk und Eigenarten des Musik-Genies.



Geboren in Löbejün (Saalekreis), ausgebildet an den Franckeschen Stiftungen in Halle, avanciert das Wunderkind schließlich im hanseatischen Stettin zum Balladen-Star der Romantik, erfreut Fürsten und Könige, füllt bei seinen Konzerten große Kirchen und Säle. Loewe gilt auch als Wiederentdecker von Johann Sebastian Bach, führt vergessene Werke auf. Sein musikalisches Erbe umfasst mehr als 400 Werke. Kenner nennen den Komponisten aus Löbejun in einem Atemzug mit Franz Schubert.

Drei Probleme wirft der Fund auf. Die erste Frage: Warum steckt das Herz in der fast 28 Meter großen Säule? Aufschluss könnte das Loewe-Testament geben. Dort soll der Musiker verfügt haben, dass sein Herz neben seiner geliebten Orgel "Cecilie" bestattet wird. Diese Angaben werden geprüft.

Zweite Frage: Wie kommt jemand auf die Idee, sein Herz getrennt vom übrigen Leichnam beisetzen zu lassen? Medizinhistoriker Armin Dietz aus Burghausen (Bayern): "Das ist ein kulturgeschichtliches Phänomen, das im Mittelalter verbreitet war." Seither habe es mehrere Wellen gegeben. Jüngstes Beispiel einer Herzbestattung ist der 2011 verstorbene Otto von Habsburg. Er war von 1930 bis 2006 Oberhaupt der Familien Habsburg-Lothringen. (v.d.R. geändert)

Die letzte Frage dreht sich um den Echtheitsbeweis schlechthin, die Untersuchung des Loewe-Erbgutes - also eine DNA-Analyse, eine Aufgabe für Gerichtsmediziner.

Um die für jeden Menschen unverwechselbaren Protein-Kombinationen herausfiltern zu können, muss dem Herzmuskel eine Gewebeprobe entnommen werden. Dass es sich um das Loewe-Herz handelt, so Porsche, wisse man erst genau, wenn der entsprechende genetische Fingerabdruck eines nahen Verwandten dazu passt. Aleksandra Kopinska vom Stettiner Loewe-Verein beschreibt die Herausforderung: "Noch befindet sich das faustgroße Herz in einer Silberschatulle." Ultraschall hilft nicht weiter, weil die Ummantelung aus Blei besteht. So wisse niemand, in welchem Zustand sich das Herz befindet. "Da ist Vorsicht geboten!", so Porsche. Luftzufuhr könne rasch Fäulnis auslösen, dann wäre der Schatz verloren.

Ärgerlich finden die Loewe-Freunde, dass das Loewe-Skelett - Ruhestätte war Kiel - nach einer Verlegung des Friedhofs nicht mehr auffindbar ist. Und noch etwas kommt laut Porsche erschwerend hinzu: Die Loewe-Ahnenreihe ist mit dem Tod einer Urenkelin 2002 in Hamburg abgebrochen.

Nun ist die große Frage, wie man an Gebeine von Nachkommen des Komponisten herankommt. Da tappt man im Dunkeln. Ob solche Knochen freigelegt und untersucht werden dürfen, ist umstritten. Eine Spur führt nach Unkel am Rhein, so Porsche. Erstes Indiz: Nach dem Tode des Künstlers sind die Witwe und zwei Töchter dort im Haus des Dichters Ferdinand Freiligrath (1810-1876) untergekommen. Eine andere Spur führt zu den Geschwistern Loewes, zwölf an der Zahl. Über deren Stammbaum ist kaum etwas bekannt, also ein weites Feld. Porsche: "Wir werden es beackern, mit allen Kräften."