Arbeitsmarktreform Hartz IV Arbeitsmarktreform Hartz IV: Landespolitiker warnen vor «sozialen Verwerfungen»
Magdeburg/dpa. - Soziale Verwerfungen, radikale Verarmung,Katastrophe, Politikverdrossenheit, Kaufkraftverlust und das Aus fürtausende Jobs: Während der Bundesrat am Freitag in Berlin den Weg fürdie Arbeitsmarktreform Hartz IV endgültig freimachte, entwarf derMagdeburger Landtag parteiübergreifende Schreckensszenarien über dieAuswirkungen der Reform in Sachsen-Anhalt. Mit eindringlichen Wortenwarnten Regierung und alle Landtagsfraktionen am Freitag vor den«katastrophalen Auswirkungen» der Reform, die auch durch das NeinSachsen-Anhalts und anderer Ostländer in Berlin nicht gestoppt wurde.
Am deutlichsten wurde PDS-Fraktionschef Wulf Gallert: Über 250 000Menschen drohe ein «radikaler sozialer Abstieg» durch die Fusion vonArbeitslosen- und Sozialhilfe zum Arbeitslosengeld II. Betroffenseien neben den jetzigen Empfängern von Arbeitslosenhilfe auch derenAngehörige. Die Betroffenen müssten mit gravierenden Einschnittenrechnen und mit 30 bis 50 Prozent weniger Geld auskommen. «Somit wirdauch ein Viertel aller Kinder in einer neuen Armutsgruppeaufwachsen», sagte Gallert. Zudem müssten viele Menschen um ihreWohnungen oder andere Besitztümer bangen.
Seltene Einmütigkeit bestand zwischen PDS und WirtschaftsministerHorst Rehberger. Selbst der FDP-Politiker warnte vor «gravierendenVerwerfungen» in Sachsen-Anhalts Sozialgefüge. Aus Sicht Rehbergersdroht durch Hartz IV zudem ein organisatorischer «Super-Gau». DieUmsetzung sei zum 1. Januar 2005 nicht zu schaffen. Ferner beklagteder Minister eine unfaire Behandlung der ostdeutschen Kommunen, dieim Gegensatz zu den Städten im Westen nicht entlastet würden.
Während die Bundes-SPD die Reform vorangetrieben hatte, beklagtendie Sozialdemokraten in Sachsen-Anhalt «Bauchschmerzen» wegen HartzIV. «Zahlreiche Betroffene drohen, an den Rand der Armutsgrenzegedrückt zu werden», sagte SPD-Arbeitsmarktexpertin Ute Fischer. IhreKollegin von der CDU, Marion Fischer, erinnerte an den zu erwartendenKaufkraftverlust von mehr als 200 Millionen Euro und den damiteinhergehenden möglichen Verlust von Arbeitsplätzen. Kritik kam auchvon der FDP: «Hartz IV hat uns gezeigt, dass man eine an sichrichtige Grundidee so schlecht umsetzen kann, dass wir das Ganze nurnoch ablehnen können», sagte Judith Röder.
Durch Hartz IV bekommen bundesweit gut zwei MillionenLangzeitarbeitslose und erwerbsfähige Sozialhilfeempfänger inDeutschland eine einheitliche Grundsicherung - allerdings mitfinanzielle Einbußen. Hauptziel der Reform ist eine bessereVermittlung der Arbeitslosen.
Aus Sicht von Ministerpräsident Wolfgang Böhmer (CDU) geht diesesZiel jedoch an den Realitäten in Ostdeutschland vorbei. «Wir haben imOsten nicht das Problem, dass die Vermittlung von Arbeitsplätzenklemmt. Wir haben keine Arbeitsplätze», hatte er vor der Abstimmunggesagt. Böhmer befürchtet nun eine Zunahme der Politikverdrossenheitdurch die Folgen von Hartz IV. «Es kann sein, dass die Zahl derfrustrierten Menschen größer wird und dass die Wahlabstinenzzunehmen wird.»