Anlaufstelle für Asylbewerber in Halberstadt Anlaufstelle für Asylbewerber in Halberstadt: Ankunft im neuen Leben

Halberstadt - Weltweite Krisenherde haben dazu geführt, dass im vergangenen Jahr wieder mehr Flüchtlinge nach Deutschland gekommen sind. Rund 6600 kamen nach Sachsen-Anhalt. Doch was erwartet sie nach der Flucht, welche Pflichten, welche Rechte haben sie tatsächlich? MZ-Reporterin Katrin Löwe hat die Stationen eines Asylbewerbers nachvollzogen. Heute: die Erstaufnahmeeinrichtung in Halberstadt.
Der Tag meiner Ankunft ist trübe. Erst kurz vor dem Ziel wagen sich die ersten Sonnenstrahlen durch die Wolken über Halberstadt (Harzkreis). Hier soll ich mich also melden: eine ehemalige Kaserne etwas außerhalb der Stadt - eine Wache, dahinter drei fünfgeschossige Plattenbauten in Grau und Orange.
„Zentrale Anlaufstelle für Asylbewerber des Landes Sachsen-Anhalt“ (ZASt) steht auf einem Schild. Hier landet anfangs jeder Asylbewerber, für den Sachsen-Anhalt entweder grundsätzlich zuständig ist - etwa für Herkunftsländer wie Benin und Burkina Faso - oder der aufgrund eines festen Aufnahme-Schlüssels nach Sachsen-Anhalt verwiesen wird. „75 Prozent der Ankommenden haben sich zuerst bei Behörden in Grenzländern wie Bayern oder Nordrhein-Westfalen gemeldet“, sagt ZASt-Chef Eckhardt Stein. Mit Bahnticket, Wegbeschreibung und Begleitpapier mit persönlichen Daten werden sie nach Halberstadt weitergeschickt.
Meine erste Station befindet sich in Block A: die Aufnahme. Jetzt am späten Vormittag ist der Andrang begrenzt. Ich bin ein ungewöhnlicher „Asylbewerber“: nicht nur, weil ich in Wahrheit natürlich keiner bin, sondern weil ich auch zu einer eher unüblichen Zeit eintreffe. Die meisten kommen erst nachmittags oder abends an, manche nachts. Jetzt steht vor mir nur ein Ehepaar aus dem Kosovo. Die Aufnahme in dem Büro mit der Glastrennwand dauert gut 15 Minuten, dann sind die Daten des Begleitpapiers im System eingetragen und der Heimausweis ist ausgestellt: gelb für Männer, rot für Frauen.
Eine Hygiene-Erstausstattung
In Begleitung eines Sozialarbeiters geht es weiter in den nächsten Block. Dort werden Bettwäsche und Zimmerschlüssel ausgegeben. Grundsätzlich erhält jeder Asylbewerber zudem neben einem Porzellanteller, Plastikgeschirr, Becher und Plastikbesteck auch eine Erstausstattung Hygieneartikel: zwei Rollen Toilettenpapier, Zahnbürste, Zahnpasta, Kamm, Waschlappen, Handtücher, eine Flasche Duschgel/Shampoo. Für Spätankömmlinge liegt alles an der Wache.
Der Sozialarbeiter bleibt mir wie anderen auf den ersten Schritten erhalten: Er gibt - in mehreren Sprachen erhältlich - die Haus- und Brandschutzordnung aus, dazu Essenmarken für die Woche. Er füllt auch den Antrag für das Sozialamt aus, bei dem später ein Termin ansteht. Gott sei Dank: Name, Geburtsdaten, Familienstand und Ausweisnummern würde ich noch hinbekommen, spätestens bei „im Sinne von § 44 Asylverfahrensgesetz“ wäre aber auch ich überfordert. Und wüsste ein Asylbewerber, was die Frage nach einer Einreise über Drittstaaten bedeutet?
Wie die möglichen Unterkünfte aussehen und welche ärztliche Untersuchung die Flüchtlinge erhalten, lesen Sie auf Seite 2.
Ich werde schließlich von Sozialarbeiterin Petra Tondera in meine mögliche Unterkunft begleitet, ein 17-Quadratmeter-Raum. Der erste Eindruck ist ernüchternd: drei Metall-Bettgestelle mit Matratzen, ein kleiner Tisch mit drei Holzstühlen, zwei schmale Spinde. Das war’s an Einrichtung. Gemütlich ist anders. Zu Gemeinschaftsduschen und Toiletten geht es über den Flur, auch zur Teeküche mit zwei Herden.
„Wir versuchen, die Drei-Bett-Zimmer nur mit zwei Personen zu belegen und die Sechs-Bett-Zimmer mit fünf“, sagt Tondera. Der Andrang in Halberstadt macht nicht alles möglich. Gerade wurde die Einrichtung um 200 Plätze erweitert. Von fast 1000 Betten können aber nur rund 800 wirklich genutzt werden, weil bei der Belegung darauf geachtet wird, dass es nicht zu Spannungen zwischen unterschiedlichen Religionen oder Ethnien kommt oder ein Ehepaar nicht mit einem Dritten das Zimmer teilen muss. „Wir sind an der Kapazitätsgrenze“, sagt ZASt-Chef Stein.
Rund 40 Untersuchungen am Tag
Meine nächste Station: die ärztliche Untersuchung, die jeder Asylbewerber im Haus absolvieren muss. Nach den Feiertagen zum Jahreswechsel ist es im Wartezimmer brechend voll. Üblicherweise stehen rund 40 Untersuchungen am Tag an, heute sind es viel mehr. „Wenn Sie nicht gerade am Anfang kommen, müssen Sie normalerweise zwei Stunden Wartezeit planen“, sagt Gesundheitsamts-Mitarbeiterin Stefanie Klatt. Neben dem Grundcheck - Blick in Ohren und Mund, Abhorchen von Herz und Lunge, Abtasten des Bauchraums und einer Prüfung auf sichtbare Hautkrankheiten - müssen Afrikaner zum Beispiel auch eine Blutprobe abgeben, um sie auf Aids zu untersuchen. Jeder über 15 - mit Ausnahme Schwangerer - wird geröntgt, um übertragbare Krankheiten wie TBC auszuschließen.
Die Verständigung ist wie überall in Halberstadt bisher hauptsächlich ein Mix aus verschiedenen Sprachen, aus Gestik mit Händen und Füßen, der Hilfe anderer Asylbewerber. Mitarbeiter wie Klatt lernen einige Brocken in mehreren Sprachen. „Ich will wenigstens in deren Sprache fragen können: Wie geht es Ihnen?“
Mir bleibt gerade noch Zeit für einen Mittags-Besuch in der Großküche. Es gibt Fisch, Reis, Bohnen - aber keinen Speisesaal. Das Essen wird von jedem mitgenommen. „Es ist in vielen Kulturkreisen so, dass Mahlzeiten in der Familie stattfinden und nicht in der Öffentlichkeit“, sagt Stein. Die Verpflegung ist zugeteilt, aber kostenlos: Brötchen, Marmelade, Ei, Getränke zum Frühstück, warmes Essen (aus Rücksicht auf Muslime ohne Schwein) zum Mittag, Brötchen, Wurst, Obst, Getränke zum Abendbrot. Für Kinder gibt es extra eine Zwischenmahlzeit.
143 Euro Taschengeld
In den Teeküchen der Wohnhäuser kocht mancher auch selbst - muss das Essen dann aber in der Stadt kaufen und bezahlen. Das setzt den Besuch der nächsten Station voraus: die Außenstelle des Sozialamtes auf dem ZASt-Gelände. Als Single stünden mir 143 Euro „Taschengeld“ im Monat zu, die innerhalb der nächsten Tage ausgezahlt würden, und ein 34-Euro-Kleidungsgutschein für Halberstädter Geschäfte. Für Angehörige und Kinder sinkt der Taschengeld-Betrag gestaffelt auf bis zu 84 Euro. Gedacht ist er zum Beispiel für Busfahrkarten, Freizeit, Telefonkosten oder zusätzlichen persönlichen Bedarf wie Deo und Kosmetika.
Der wichtigste Termin steht mir in den nächsten Tagen noch bevor: der Asylantrag bei der Außenstelle des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge. Ein Antragspapier dafür gibt es nicht, die Mitarbeiter legen eine Akte mit Personal- und Einreisedaten an, nehmen Fingerabdrücke, um über eine internationale Datenbank sicherzustellen, dass Asylbewerber noch in keinem anderen Staat registriert sind. Eine Anhörung, in der Details der Flucht und die Fluchtgründe als Grundlage für die Entscheidung des Amtes abgefragt werden, steht erst später an. Manche Asylbewerber sind bis dahin schon auf Kreise und Städte verteilt. Derzeit liegt die Aufenthaltsdauer in Halberstadt im Durchschnitt bei nur noch drei statt sechs bis acht Wochen.
Ein Großteil davon ist Warten. Auf dem Gelände gibt es einen kleinen Kinderspielplatz, einen Fußballplatz, eine Sporthalle, in der es demnächst wieder Sportangebote geben soll. Einen weiteren Tipp gibt mir Sozialarbeiterin Tondera noch mit auf den Weg: Morgen könnte ich mich bei der Caritas im Haus melden. Neben Asylberatung wird dort auch Beschäftigung und Deutschunterricht durch Ehrenamtliche angeboten. Für die ersten Brocken in der neuen Heimat.
Im zweiten Serienteil lesen Sie: Der Wechsel nach Halle und das weitere Asylverfahren


