Zeitz Zeitz: Lebendige Geschichte
ZEITZ/MZ. - "Ich war gerade mal 16 Jahre und acht Wochen alt, als ich im Januar 1944 in ein Wehrertüchtigungslager nach Bad Königsdorf in Südpolen eingezogen wurde." Wenn Ernst Voigt aus seinem Leben erzählt, dann klingt das wie aus einem Geschichtsbuch. Der 84-Jährige hat viel erlebt. Von Juni bis August 1944 wurde er als Flackhelfer eingezogen.
"Als ich wieder nach Hause kam, lag schon die Einberufung nach Rastenburg (Ostpreußen) auf dem Tisch", fährt er fort. Im Herbst 44 wurde er am rechten Bein verletzt und durfte über Weihnachten länger zu Hause bleiben. Erinnerungen aus dem Zweiten Weltkrieg hat der Zeitzer aufgeschrieben. "Mir ist es wichtig, dass die Nachwelt davon erfährt. Doch kaum jemand interessiert sich heute noch dafür", bedauert der Senior. Nach dem Krieg landete er im Sommer 1947 in einem Gefangenenlager nahe Moskau. Was er hier erlebt hat, darüber durfte er lange nichts erzählen. Im Dezember 1949 kehrte er nach Zeitz zurück. Mutter und Schwester hatten ihn über das Deutsche Rote Kreuz suchen lassen und in Russland gefunden. "Man kann nicht in Worte fassen, was uns bewegte, als wir uns wieder gegenüberstanden", gehen ihm diese Bilder nicht aus dem Sinn.
Doch sein Leidensweg nahm damit noch kein Ende. Weil er doch über seine schrecklichen Erlebnisse in Russland "plauderte", wurde er im Juni 1952 verhaftet und kam in das Gefängnis nach Zeitz. Von da aus ging es weiter in den berüchtigten "Roten Ochsen" nach Halle. Wenn Voigt erzählt, dann werden die Ereignisse aus dem Geschichtsbuch lebendig. So hat er den Juni 1953 hinter Gittern verbracht. "Am 17. Juni mussten wir schlag 12 Uhr unsere Arbeit niederlegen, wurden in unsere Zellen zurückgeführt und an den Metallbetten mit Handschellen angekettet. Wir wurden wie Vieh behandelt, während draußen die Aufständischen bis an das eiserne Tor des Gefängnisses vordrangen", erzählt der Zeitzeuge. Was kaum jemand weiß, hinter dem Tor standen die Russenpanzer in Bereitschaft.
Jene Zeit im Roten Ochsen sei wirklich schlimm gewesen. So wurde Voigt als Zeitzeuge im Jahre 1996 zur Eröffnung der Gedenkstätte Roter Ochse eingeladen. "Über die Einladung an sich habe ich mich gefreut, aber ich wäre gern einmal in meine alte Zelle zurück gegangen. Doch wir mussten draußen bleiben, hinein durften nur die offiziellen Gäste, allen voran die Politiker", fährt Voigt fort. Bis heute hat er es nicht noch einmal bis zur Gedenkstätte geschafft. "Ich brauchte halt mal jemanden, der mich fährt", sagt der 84-Jährige. Als in Zeitz vor der heutigen Orangerie die Gedenkplatte für die Insassen des ehemaligen Gefängnisses feierlich übergeben wurde, war er zwar zugegen. "Doch auch hier wollte niemand meine Geschichte hören. Das macht mich wirklich traurig. Gern würde ich auch vor Schulklassen von meinen Erlebnissen erzählen", so verrät er.
Nach der Gefangenschaft hatte das Elend längst noch kein Ende. So wurden ihm die Bürgerrechte aberkannt. Nicht nur, dass er nicht zur Wahl gehen durfte, vor allem erhielt er keine Lebensmittelmarken und war auf seine Familie angewiesen. Eingestellt wurde er nur als Hilfsarbeiter, dabei war er gelernter Tischler. Später kam er in der PGH Installation unter.
Nach der Wende wurde er zwar rehabilitiert und entschädigt. Doch das macht seine schrecklichen Erlebnisse nicht vergessen.