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Soldat wider Willen Zeitz: Günter Mayr gewährt Stationen eines bewegten Lebens

Von Petrik Wittwika 06.05.2018, 13:00
Auf dem Hof des Bauerngutes in Stocksdorf entstand 1983 dieses Foto.
Auf dem Hof des Bauerngutes in Stocksdorf entstand 1983 dieses Foto. Hartmut Krimmer

Zeitz - Eine Straße in Zeitz trug bis 1991 seinen Namen, doch kaum jemand weiß viel von ihm: Günter Mayr. Wer war der Zeitzer Antifaschist, der im August 1945 in Stocksdorf erschossen wurde? In mühevoller jahrelanger Recherche gelang es, seinen Lebensweg zu rekonstruieren. Und auch die Vorgänge um seinen Tod zu beleuchten.

Geboren in Zeitz lebte die Familie ab 1943 im Landarbeiterwohnhaus auf dem Gut in Stocksdorf. Seit 23. August 1944 war er Kanonier in einer Vermessungskompanie in Meißen und „wutentbrannt“, denn „er war Arbeiter, aber kein Soldat“, weiß Mutter Marie in ihren Erinnerungen zu berichten.

Schnell gerät Günter Mayr auch hier wieder in Konfrontation zu den Vorgesetzten. Bald darauf erkrankt er erneut, weshalb er nach Rodewisch im Vogtland unter Bewachung in ein Lazarett eingeliefert wird. Aber die „alte Tyrannisiererei“, wie Mayr es gegenüber seiner Mutter ausgedrückt hatte, beginnt für ihn sofort wieder, nachdem er zu seinem Truppenteil zurückgekehrt war.

Zeitzer Günter Mayr ist überzeugter Pazifist

Ganz seiner leidenschaftlich-energischen wie pazifistischen Natur entsprechend, widersetzt er sich den Anweisungen seiner militärischen Vorgesetzten. Dem Vorwurf der „Wehrkraftzersetzung“ folgt die Anklage vor einem Heeresgericht in Dresden am 23. März 1945, wo er, wohl aus Gründen der Abschreckung, zunächst zum Tode verurteilt wird.

Da er aber noch keine 21 Jahre alt ist, wird die Strafe „wegen seines jugendlichen Alters“ auf fünf Jahre Zuchthaus abgemildert und er einem „Baukommando“ zugeteilt, um Strafarbeit zu verrichten. Ohnehin liegt die Altstadt der sächsischen Hauptstadt, die zur „Festung“ erklärt worden war, seit den schweren Luftangriffen vom 13. bis 15. Februar 1945 in Schutt und Asche.

Die perfide und widersprüchliche Systemlogik mündet immer deutlicher in unberechenbaren Wahnwitz und eine morbide Untergangsstimmung voller Willkür. Als weite Teile Deutschlands längst in Trümmern liegen oder bereits von den Alliierten befreit sind und ein „Endsieg“ nur noch für blinde Fanatiker möglich zu sein scheint, finden wir Günter Mayr in Dresden wieder.

Zeitzer Günter Mayr war Soldat im Zweiten Weltkrieg: Kontakt mit Karl Weber

Über die genauen Hintergründe seiner Dresdner Zeit schwiegen aber bisher die bekannten Quellen. Wäre da nicht ein gewisser Karl Weber, der am 3. Januar 1946 brieflichen Kontakt mit dem Antifaschistischen Jugendausschuss von Zeitz aufgenommen hat.

Dieses erhaltene, der Mutter später ausgehändigte Schreiben übernimmt auf besondere Weise die Kronzeugenschaft im Fall Günter Mayr in den Monaten des Zusammenbruchs Hitler-Deutschlands. Recherchen nach der Person Karl Weber in alten Dresdner Einwohnerbüchern ergaben, dass das Haus Seminarstraße 15 in der ersten Etage, wo er zusammen mit seiner Ehefrau gelebt hatte, bereits vor 1933 seine Wohnung war.

Karl Weber war Nazigegner, der vor Hitlers Machtübernahme als mutmaßlicher Sozialdemokrat im sächsischen Staatsdienst angestellt, aber von den Nazis 1933 aus seinem Amt entlassen worden war. Im Frühjahr 1945 lernt er Günter Mayr in der Dresdner Strafanstalt kennen.

Zeitzer Günter Mayr im Einsatz in Konzentrationslager

Zwischen beiden Antifaschisten entwickelt sich aus der gemeinsamen Überzeugung heraus, dass das Nazi-Regime in Kürze der Vergangenheit angehören würde, eine enge Freundschaft.

Weber ist für den jungen Mayr in gewisser Weise eine Art Vaterersatz in dem mörderischen, ungewissen Treiben um ihn herum. Unter Bewachung sind beide gemeinsam in verschiedenen Arbeitskommandos zu Aufräumarbeiten in Dresden eingesetzt.

Kurz vor Kriegsende und dem Einmarsch der Roten Armee werden Mayr und Weber mit noch weiteren Gefangenen von Dresden aus „in Landmarsch mit dem Ziel Teplitz-Schönau“ gesetzt. Im sogenannten KZ Hertine in Teplitz-Schönau (Sudetenland), einem seit Herbst 1944 bestehenden Außenlager des KZ Flossenbürg, in dem jüdische Frauen aus Ungarn inhaftiert waren, sollen sie Arbeiten verrichten.

Wie sich der Zeitzer Günter Mayr als Soldat bis Dresden durchschlug

„Es war ein mühseliger Marsch. Gefesselt gingen wir zwei wie die vielen anderen in einem richtigen Elendszug über Niedersedlitz, Dohna, Weesenstein. Im Schlosshof von Weesenstein verbrachten wir die erste Nacht“, schreibt Karl Weber in seinen Erinnerungen über diese Zeit. Unter Beschuss von Jagdbombern, kurz „Jabos“ genannt, geht es am nächsten Tag über Glashütte weiter.

„Auf unser Murren hin wurden uns dann die Fesseln abgenommen“, wusste Weber zu berichten, der am Nachmittag die Gelegenheit nutzt, mit Günter Mayr und noch einigen Mitgefangenen die Abteilung heimlich zu verlassen. Karl Weber ist es nun, der „auf Nebenwegen“ seine Kameraden auf abenteuerliche Weise dem Einflussbereich der Roten Armee entgegenführt.

„Wir haben uns dann bis nach Dresden durch die Linien durchgeschlängelt und Günter blieb, weil keine Möglichkeit bestand nach Zeitz weiterzukommen, sechs Wochen bei mir“.

(mz)

1943 zog die Familie ins Landarbeiterwohnhaus Stocksdorf.
1943 zog die Familie ins Landarbeiterwohnhaus Stocksdorf.
P. Wittwika