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Letzte Lebensphase Wie aus der Villa Steineck der Weltfrieden und ein Lost Place wurde

Bis zur Wende war das große Haus im noch größeren Park immer belebt. Wie aus der Villa Steineck der Weltfrieden und ein Lost Place wurde.

12.04.2021, 07:45

Zeitz - Ernst-Albert Naether, gebürtiger Zeitzer und Nachfahre des Begründers der Kinderwagenindustrie, geht auf eine musikalische Reise in seine Geburtsstadt vor 100 Jahren. Die Familie lebte in der Villa Steineck, und es gab eine ganz besondere Erfindung: das Grammophon. Musik begleitete letztendlich alles, was im Laufe der Jahre in der Villa Steineck, in Zeitz und darüber hinaus geschah. Die Klänge wechselten und auch die, die in der Villa lebten. Familie Naether verließ das „Schloss“ nach der Enteignung nach dem Zweiten Weltkrieg. In der DDR-Zeit zog wieder Leben ein: Villa Steineck wurde zum beliebten und rege genutzten Klubhaus Weltfrieden. Nach dem nächsten großen Umbruch, der Wende 1989 folgten Leerstand und Verfall.

„Haus Steineck wurde ein Haus des Volkes; es bekam den Namen Kulturzentrum Weltfrieden und wurde für Jahrzehnte ein beliebter Treffpunkt der Zeitzer“, schreibt Ernst-Albert Naether. Hier wurde im Laufe der Jahre nicht nur gelernt (Landwirtschaftsschule), sondern auch viel gefeiert: Jugendweihen, Hochzeiten, Vorträge, Kaderschulungen, Parteitreffen, Jubiläen. „Die FDJ - Freie Deutsche Jugend traf sich hier“, so Naether, „sogar ein Restaurant etablierte sich - ich habe da in den 1970er Jahren mal inkognito gegessen! - und etwas später wurde es ein beliebter Seniorentreffpunkt. Der weitläufige Park lud zu Romanzen ein. Manch eine(r) fand hier die/den Liebste(n), oft sogar fürs Leben.“

Thälmann besungen

Und die Musik ging mit der Zeit. Naether schreibt dazu: „Jetzt erklangen hier Schlager, die ich als inzwischen Hamburger erst nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten kennengelernt habe. Es begann mit politisch propagandistischen Liedern und Kampfliedern, Titel wie das FDJ-Lied von der blauen Fahne oder ,Stalin, Freund, Genosse’ wurden geschmettert. Auch Ernst Thälmann wurde besungen.“ Später gab es Lieder zu politischen Ereignissen: Zum Beispiel gab’s den „Aufbau-Walzer“ zum Bau des ersten Hochhauses in der Stalinallee, zum Mauerbau... „Fritz der Traktorist“ wurde besungen. „Der Schlager sollte, so war es politischer Wunsch, ein eigenes Gesicht bekommen, geprägt von sozialistischer Moral und Solidarität. Während im Westen Wencke Myhre von einem knallroten Gummiboot schwärmte, besang man in der DDR die Fahrt im „Himmelblauen Trabant“.

Der eigenständige DDR-typische Schlager nahm sich viel Zeit. Erst irgendwann in den 1970er Jahren haben dann die großen Karrieren der Puhdys, von Karat, City, Frank Schöbel, Ute Freudenberg, Manfred Krug und anderen begonnen. „Ihre Melodien erklangen bei zahllosen Gelegenheiten auch im Kulturhaus Weltfrieden“, meint Ernst-Albert Naether, „das zweite Leben des Hauses endete bald nach der ,Wende’. Das Haus ist nun in seiner dritten, wohl letzten, Lebensphase.“ Es wurde der Familie Naether Anfang der 1990er Jahre zurückgegeben. Nach kurzer Zeit verkaufte die Familie es, mitsamt dem großen Park. „Mit seitdem wechselnden Besitzern verkam es zusehends. Aus anfangs ein bisschen Vandalismus wurde immer mehr. Nicht zum Mitansehen! Das Haus verfiel und ist heute eine traurige Ruine“, fasst Naether zusammen, „was einst ein Vorzeigeobjekt der Stadt war, fristet heute ein Lost-Place-Dasein.“

„Verdeckter“ Verfall

Musik erschallt schon lange nicht mehr in diesen Mauern, resümiert Naether. „Im Sommer verdecken die Blätter der alten Bäume gnädig das, was von Haus Steineck übrig geblieben ist. Die Musik hat sich eine neue Heimat gesucht. In meinem Fall in Hamburg. Panta rhei!“ Die Stadt hat sich längst abgekoppelt von der Entwicklung des Hauses. In ihr rührt sich an vielen Stellen Zukunftsträchtiges. „Das Leben, auch das Leben einer Stadt, ist einer Acht gleich: Es geht hinauf und hinunter“, Naethers Feststellung, „aber dann auch wieder hinauf...! Und das ist eine schöne Gewissheit. “ (mz/and)