1. MZ.de
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Zeitz
  6. >
  7. Zeitzer Zauberwatte: Ölteppiche auf dem Meer: Firma aus Zeitz präsentiert Zauberwolle aus Wachs

Zeitzer Zauberwatte Ölteppiche auf dem Meer: Firma aus Zeitz präsentiert Zauberwolle aus Wachs

Von Julius Lukas 22.05.2017, 12:31
Pure-Produktmanager Steffen Remdt zeigt mit Stolz seine „Zauberwatte“.
Pure-Produktmanager Steffen Remdt zeigt mit Stolz seine „Zauberwatte“. Andreas Stedtler

Zeitz - Eigentlich sollte es die Zeitzer Zauberwatte gar nicht geben. Die Wolle aus Wachs, die die Firma Deurex entwickelt hat und herstellt, saugt Öl auf wie ein Schwamm.

Ein Sensationsprodukt, mit dem Umweltkatastrophen wie nach dem Untergang des Ölfrachters „Exxon Valdez“ oder nach dem Brand der Bohrplattform „Deepwater Horizon“ verhindert werden könnten.

Allerdings war die Erfindung der Wunderwaffe nicht geplant. Sie war reiner Zufall. Oder präziser: eine Panne. Im Frühjahr 2010 bereitet ein Mitarbeiter des Wachsherstellers aus dem Burgenlandkreis die Produktion für die Nacht vor.

Nur einen Moment ist er unaufmerksam: Beim Einstellen der Maschine vertauscht der Mann die Werte für Druck und Temperatur. Ein folgenreicher Fehler und ein segensreiches Missgeschick zugleich.

Panne bei Herstellung von Wachs-Granulat

Als Deurex-Chef Günter Hufschmid am nächsten Morgen seine Produktionshalle betritt, bietet sich ihm ein chaotischer Anblick. Die Maschine, die eigentlich ein Wachs-Granulat herstellen sollte, ist über und über mit feinen weißen Fäden bedeckt - als hätte eine mit Kerzen gefütterte Horde Riesen-Spinnen die Anlage über Nacht eingewoben.

„Der erste Gedanke war: Ist die Maschine kaputt“, erinnert sich Hufschmid. Doch nach dem anfänglichen Schock entscheidet er sich trotzdem, den Berg Wachswolle nicht wegzuwerfen.

Pure für Europäischen Erfinderpreis nominiert

Damals ahnen Hufschmid und seine Mitarbeiter noch nicht, dass durch die Panne ein ganz neues Produkt entstanden ist. Und noch dazu eines, das zu den innovativsten Entwicklungen des Kontinents gehört.

Denn sieben Jahre nach der Produktionspanne ist die Zauberwatte, die mittlerweile unter dem Namen „Pure“ vertrieben wird, für den Europäischen Erfinderpreis nominiert. Dieser Oscar für Tüftler wird vom Europäischen Patentamt verliehen. Die Sieger werden am 15. Juni in Venedig gekürt.

Kaum Erfinder aus Sachsen-Anhalt

Deurex ist damit in eine erfinderische Höhe aufgestiegen, die Unternehmen aus Sachsen-Anhalt nur selten erreichen. Die Firmen im Land kann man getrost als Innovations-Muffel bezeichnen. Im vergangenen Jahr meldeten Forscher aus allen Bundesländern zusammen 48.474 Patente an. Nur 228 davon kamen aus Sachsen-Anhalt. Ein magerer Anteil von nicht einmal einem halben Prozent. Bei den Patentanmeldungen pro Kopf liegt Sachsen-Anhalt damit auf dem vorletzten Platz aller Bundesländer. Nur Forscher und Ingenieure in Mecklenburg-Vorpommern erfinden noch weniger.

Innovation aus Zeitzer Industriepark könnte Meere retten

Dass aus der Produktionspanne im Zeitzer Industriepark eine Innovation wurde, hängt allerdings nicht nur mit dem Erfindergeist von Deurex-Chef Günter Hufschmid zusammen. Auch eine der schlimmsten Umweltkatastrophen der vergangenen Jahrzehnte trug dazu bei. 2010 explodierte im Golf von Mexiko die Ölplattform Deepwater Horizon. Elf Menschen starben dabei und geschätzte 800 Millionen Liter Öl flossen in den Atlantik.

„Alle machten sich damals Gedanken, wie man das Meer retten kann“, erzählt Günter Hufschmid. Und da kam dem Firmenchef die entscheidende Idee: Vielleicht wäre ja die Watte dazu geeignet, solch eine Ölpest zu besiegen.

Dass das schwarze Gold an Wachs haften bleibt, wusste Hufschmid bereits. Seine Firma stellt schließlich schon seit den 90er Jahren Spezialwachse für die Farben- und Lack-Industrie her. Mit dem glänzenden Kerzenstoff kannte man sich bei Deurex deshalb bestens aus. Hufschmid ließ seinen Chemiker erste Versuche starten. Und schnell zeigte sich: Es funktioniert.

Die Zeitzer Zauberwatte ist das Produkt einer Panne. Ungewollte Entdeckungen sind in der Wirtschaft aber keine Seltenheit. Fünf Beispiele, bei denen der Zufall der Erfinder war:

In den 90er Jahren suchte der amerikanische Pharma-Riese Pfizer eigentlich nach einem Mittel, dass die Herz-Durchblutung stärkt. Als man den Wirkstoff Sildenafile an männlichen Probanden testete, zeigte sich, dass auch deren Penisse deutlich besser durchblutet wurden. Die Wunderpille Viagra war geboren.

Eigentlich wollte der Tee-Händler Thomas Sullivan nur Kostproben an seine Kunden verschicken. Für den Transport packte er sie in Seidenbeutel. Die Adressaten der Fracht warfen diese jedoch gleich in heißes Wasser - das sparte die aufwendige Brüh-Prozedur.

Deren Erfindung verdankt die Welt einem widerspenstigen Gast. Der gab 1853 in einem New Yorker Restaurant seine Bratkartoffeln zurück, weil sie ihm zu matschig waren. Der Koch bereitete ihm daraufhin extrem dünne und stark gesalzene Kartoffeln zu, die er in Öl frittierte. Dem Gast schmeckte es.

Einer der berühmtesten Zufallstreffer gelang Alexander Fleming. 1928 ließ er das Fenster seines Labors offen. Auf eine Platte mit Eiter-Ergern flogen Pilzsporen und die töteten die Bakterien ab.

1945 testete der Ingenieur Percy Spencer Radargeräte für Kampfflugzeuge. Bei einem Magnetfeld-Versuch schmolz ihm ein Schokoriegel in der Tasche. Spencer ging dem Phänomen nach und entwickelte die erste Mikrowelle.

Im Jahr 1936 suchten Entwickler von Beiersdorf nach einem verträglichen Klebstoff für Pflaster, als Träger probierten sie Cellophan - das Tesa-Band war erfunden.

Wachswolle aus Zeitz saugt Öl auf

Welch erstaunliche Saugkraft die Zauberwatte entfaltet, hat Steffen Remdt schon viele hundert Mal vorgeführt. Trotzdem entdeckt man bei dem 37-jährigen Wirtschaftsingenieur noch immer eine fast kindliche Freude, wenn er zeigt, was sein Pure kann. Remdt ist bei Deurex verantwortlich für die Wunderwolle. Produktmanager ist sein offizieller Titel.

Jetzt gerade stellt er ein mit Wasser gefülltes Bassin, das halb so groß ist wie ein Aquarium, auf einen Tisch, der mitten in einer der Produktionshallen von Deurex steht. Anschließend holt er noch einen Becher pechschwarzes Öl. „Jetzt kann es losgehen“, sagt Remdt.

Wachswolle von Deurex ist wasserabweisend

Er kippt das Öl ins Wasser, wo es sich an der Oberfläche sammelt. Anschließend nimmt Remdt eine Handvoll Watte. „Das ist jetzt wie Magie“, verspricht der Produktmanager und lässt die weißen Fasern ins Wasser fallen. Sie schwimmen auf der Oberfläche. Und beginnen sofort, das Öl aufzusaugen. Das Wasser bleibt unberührt. „Die Wachswolle ist hydrophob“, erklärt Remdt. Wasser perlt also an ihr ab. Im Experiment dauert es keine Minute, dann ist das Wasser im Bassin gereinigt. Remdt angelt die nun schmutzige Watte aus dem Behälter. Die Zaubershow ist vorbei.

Allerdings ist Remdt ein Magier, der seine Tricks verrät. „Dass das Öl am Wachs haften bleibt, hat mit der Adsorption zu tun“, erklärt er. Das ist eine physikalische Kraft, die Stoffe auf der Oberfläche eines anderen Stoffes haften lässt, so dass sie sich dort anreichern. Ihre Wirkung ist ähnlich wie bei zwei Glasplatten, zwischen denen sich ein feiner Wasserfilm befindet. Sie kleben zusammen, lassen sich aber problemlos auch wieder lösen. Ebenso ist es bei Öl und Wachswolle.

„Mit einer Zentrifuge kann man beide Stoffe wieder trennen“, erklärt Remdt. Sogar eine Salatschleuder reiche dafür aus. Diesen Effekt kann man allerdings bei vielen Wachsen beobachten. „Das Geheimnis von Pure“, sagt Remdt, „ist die mikroskopisch kleine Faserstruktur, durch die besonders viel Öl aufgenommen werden kann.“

Ein einziges Gramm der Zeitzer Wunderwatte hat eine Oberfläche von drei Quadratmetern. Ein Kilogramm kann so bis zu sechs Liter Öl aufsaugen. „Das ist ein Drittel mehr als andere Mittel schaffen.“ Und diese Saugfähigkeit spricht sich immer weiter rum. „Bei der Jahresproduktion nähern wir uns dem dreistelligen Tonnenbereich“, verrät Remdt.

Traum für die Zukunft: Mit der Deurex-Zauberwatte Ölteppiche im Meer aufsaugen

In der Region werde die Zauberwatte etwa von Häfen im Leipziger Seenland verwendet. „Wenn dort beim Betanken von Booten Benzin ausläuft, kann man das mit Pure aufsaugen.“ Die Wolle kam zudem schon beim Jahrhunderthochwasser 2013 zum Einsatz, als die Öltanks von Wohnhäusern ausgespült wurden. „Und zuletzt haben wir einen Container nach Mexiko verschickt“, sagt Remdt stolz.

Nur mit den ganz großen Umweltkatastrophen haben es die Zeitzer noch nicht aufgenommen. Deurex Chef Günter Hufschmid ist jedoch zuversichtlich: „Unsere Anlagen kann man überall aufstellen - auch auf Schiffen.“ Die Zauberwatte von dort gleich ins Meer fallen zu lassen und so Ölteppiche einfach aufzusaugen - das ist der Traum. Bisher blieb dieser aber noch unerfüllt. Aber vielleicht kann der Erfinderpreis dabei helfen, Investoren für dieses Projekt zu finden. (mz)