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MZ im Gespräch mit Dr. Olaf Steffen MZ im Gespräch mit Dr. Olaf Steffen: Wenn Gepauktes schnell in Vergessenheit gerät

22.10.2003, 16:49

Naumburg/MZ. - Was ist Rechenschwäche?

Steffen: Ein systematisches Lernversagen beim Erwerb fundamentaler arithmetischer Einsichten, was zu mathematischen Wissensdefiziten führt. Die Probleme liegen im Zahlenverständnis. So hapert es unter anderem beim Aufbau eines verständigen Mengen- und Zahlenbegriffs. Mit Mangel an Intelligenz oder Begabung hat das nichts zu tun. Betroffen sind nicht nur Kinder und Jugendliche, sondern auch Erwachsene.

Sind viele davon betroffen?

Steffen: Bei mindestens fünf Prozent der Grundschüler liegt Rechenschwäche vor. Eine große Konzentration gibt es an Sonder- und Lernbehindertenschulen. Aus meiner Sicht halten sich die Kinder völlig unberechtigt an diese Schulen auf, weil sie nur im Rechnen schwach sind. Die nächste Konzentration finden wir an Hauptschulen und in Bereichen mit benachteiligten und behinderten Kindern. Aber selbst gut bürgerliche Schulen sind davon nicht ausgenommen.

Durch welche Symptome zeichnet sich die Rechenschwäche aus?

Steffen: Die Kinder können sich unter Zahlen nichts vorstellen. Beim Aufgabenlösen werden die Finger oder andere Gegenstände zum Zählen benutzt. Beim Addieren und Subtrahieren wird sich häufig um eins verrechnet. Rechenarten werden verwechselt. Das räumliche und zeitliche Vorstellungsvermögen ist nicht altersmäßig entwickelt. Mühsam Eingeübtes wird rasch wieder vergessen, um einige Symptome zu nennen.

Wie hilft das Zentrum für Rechenschwäche?

Steffen: Das Zentrum bietet Eltern, die bei ihren Kindern eine Rechenschwäche vermuten, zunächst eine kostenlose telefonische Beratung an. Tritt eine Vielzahl von Rechenschwäche-Symptomen auf, raten wir zu einer diagnostischen Abklärung. Bei dem Test wird das Kind genau beobachtet. Es soll erklären, wie es die einzelnen Aufgaben löst, welche gedanklichen Schritte zum Ergebnis führen. Ziel ist es, die Bruchstelle in der Abfolge der mathematischen Lernschritte herauszufinden, um mit einer Lerntherapie anzuknüpfen. Durch die Aufarbeitung der Lücken im mathematischen Verständnis soll den Kindern der Anschluss an den Schulstoff ermöglicht werden.

Wie lange dauert eine solche Therapie?

Steffen: Wird die Rechenschwäche rechtzeitig erkannt, das ist bei Schülern der zweiten Klasse der Fall, ist das Problem - bei einer Wochenstunde Einzeltherapie - nach 80 Stunden gelöst. Bei älteren Schülern machen sich bis zu 120 Stunden erforderlich.

Können Sie etwas zur Erfolgsquote sagen?

Steffen: Die liegt bei weit über 90 Prozent. Dass es die übrigen nicht schaffen, dafür gibt es zwei Gründe. Eine große Rolle spielt die Motivation, die mit Einsetzen der Pubertät oftmals nicht mehr gegeben ist. Außerdem sind uns die Hände gebunden, wenn die Rechenschwäche neurophysiogisch bedingt ist.