Leben mit Krebs Leben mit Krebs: «Ich habe viele Kinder sterben sehen»
Salsitz/MZ - "Wir sind froh, dass Julian wieder lachen kann", sagt seine Mutter Annett Schmidt. Qualvolle Wochen liegen hinter der Salsitzer Familie. Stunden und Tage, in denen der Zweijährige um sein Leben kämpfte.
Diagnose Krebs. "Am Anfang war war ich total verzweifelt, fiel in ein riesiges Loch ohne Boden", erzählt die Mutter. "Ich hatte Angst, dass meine Kraft nicht reicht. Natürlich hatte ich Angst, ein Kind zu verlieren, das nicht durchzustehen."
Im September 2000 erblickte Julian im Klinikum Zeitz das Licht der Welt. Von Anfang an war er oft krank. Mal erkältet, dann wieder Ess-Störungen oder ein tränendes Auge. "Die Kinderärztin in Zeitz hat dies alles abgetan und unsere Bedenken weggewischt. Julian sei zu dick, war ihre einfache Erklärung", sagt die Mutter. "Im Februar standen wir wieder da, weil seit Wochen das Auge entzündet war. Die Ärztin diagnostizierte eine Bindehautentzündung."
"Mein Kind hat vor Schmerzen nur noch gebrüllt, ich konnte es nicht beruhigen", erzählt Annett Schmidt. "Dieses Mal gaben wir uns mit der Diagnose nicht zufrieden. In der Uniklinik Leipzig stellte der Professor fest: Julian hatte Metastasen der schlimmsten Art. Sie hatten schon den ganzen Körper durchsetzt, Tumore in den Hoden, in der Leber, in den Nieren und hinter dem Auge. Krebs im Endstadium. "Am schlimmsten war für mich das erste Arztgespräch", sagt Vater Oliver Schmidt. Die Ärzte sprachen von einer Überlebenschance von acht Prozent."
Die Eltern waren vollkommen am Ende und auf das Schlimmste gefasst. Täglich pendelte die Mutter zwischen Salsitz und der Krebsklinik in Leipzig. "Wenn Julian mittags schlief, holte ich seinen Bruder Chris aus der Schule ab und brachte ihn zu meiner Schwester. Am Nachmittag fuhr ich wieder in die Klinik, saß stundenlang am Kinderbett", sagt sie. Acht Wochen lag der Kleine im sterilen Zelt, neun Monate wurde er durch eine Sonde ernährt, anderthalb Jahre dauerte die Therapie.
"Unter Morphium erkennst du dein Kind nicht wieder. Es weint, tobt, schreit, schlägt um sich, und du kannst nichts machen", erzählt Annett Schmidt. Häufig saß sie mehr als zwölf Stunden an Julians Bett. "Du verstehst die Welt nicht mehr. Wenn andere Mütter aus einer Erkältung ihres Kindes ein Drama machen, schüttelst du nur den Kopf. Ich habe gelernt, mit der Krankheit und dem drohenden Tod zu leben." Neun Kilogramm nahm die 31-Jährige in dieser Zeit ab.
Ihren "Norddeutschen Bierkeller" in Zeitz hat sie längst aufgegeben. Ihr Mann Oliver kümmert sich "neben" seiner Gerüstbaufirma um den Haushalt und den älteren Sohn. Schwester Angelika und Schwager Harald wurden zur zweiten Familie für den älteren Sohn.
Neben dem Kampf mit dem Tod verkommt der Kampf mit der Bürokratie zur Bedeutungslosigkeit. Auf den Behindertenausweis warteten Schmidts über ein Jahr. Mit Pflegeversicherung und Krankenkasse gab es monatelangen Schriftwechsel. "Die Eltern werden mit ihren Sorgen allein gelassen. Wir können uns nur selber helfen", sagt die Mutter. Annett Schmidt fuhr mit anderen Müttern von Krebskranken zur Beerdigung eines zwölfjährigen Jungen nach Dessau. "Ich hatte ihm noch auf dem Sterbebett die Hand gehalten. Es war das Mindeste, dass ich zur Beerdigung ging", sagt sie. Seit Januar sind auf "ihrer" Kinderstation in Leipzig neun weitere kleine Patienten gestorben.
Mütter und Kinder mit ihren Schicksalen brauchen Hilfe. "Ich habe viele Ideen im Kopf. Am Freitag gibt es im Schlosshof das 1. Zeitzer Benefizkonzert für krebskranke Kinder", sagt Annett Schmidt.
Julian gilt im Moment als geheilt, doch der Krebs kann jederzeit wieder ausbrechen. "Egal, was einmal kommt, wir genießen jeden Tag, den er zu Hause ist", sagen die Eltern. Sie freuen sich über jeden Löffel Baby-Nahrung, den der Kleine isst. Bloß nicht abnehmen, dann muss er wieder in die Klinik. Julian kann laufen, plappert seine ersten Worte und ist der geliebte Mittelpunkt seiner Familie.
Elternhilfe für krebskranke Kinder über Annett Schmidt in Salsitz, 03441/30 02 09.