1. MZ.de
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Zeitz
  6. >
  7. Krankendes Gesundheitswesen : Krankendes Gesundheitswesen : Dem Burgenlandkreis gehen die Physiotherapeuten aus

Krankendes Gesundheitswesen  Krankendes Gesundheitswesen : Dem Burgenlandkreis gehen die Physiotherapeuten aus

07.07.2016, 04:00
Der Körper des Menschen ist zum Laufen da, dennoch sitzen wir viel zu viel im Auto, im Büro und zu Hause. Das wirkt sich negativ auf die Gesundheit aus. Viele suchen dann Hilfe bei einem Physiotherapeuten.
Der Körper des Menschen ist zum Laufen da, dennoch sitzen wir viel zu viel im Auto, im Büro und zu Hause. Das wirkt sich negativ auf die Gesundheit aus. Viele suchen dann Hilfe bei einem Physiotherapeuten. dpa

Zeitz - Der Deutsche Verband für Physiotherapie ist einer von vier Berufsverbänden für Physiotherapeuten. Der Landesverband Sachsen-Anhalt mit Sitz in Halle beklagt einen Fachkräftemangel in dem Berufszweig. Dabei werden gerade Physiotherapeuten - auch im Raum Zeitz - mehr denn je im Gesundheitswesen gebraucht. Warum dieser Mangel besteht und wie Politik und Krankenkassen etwas dagegen tun könnten, darüber sprach Reporterin Claudia Petasch mit Constanze Rikirsch–Schöning. Sie ist die Vorsitzende des Landesverbandes. 

Warum gibt es vier Berufsverbände, und worin unterscheiden sie sich?

Rikirsch-Schöning: Dass es vier Verbände gibt, resultiert aus der Geschichte. Diese Art der Organisation gab es in der ehemaligen DDR nicht. In den alten Bundesländern gab es Verbände für spezielle Berufszweige, etwa für medizinische Bademeister oder Krankengymnasten. Diese haben sich nach der Wende auch in die neuen Bundesländer orientiert und sich für Physiotherapeuten geöffnet. Aber egal in welchen Verband die Kollegen eintreten, wichtig ist, dass sie es tun. Denn es ist für sie unerlässlich, dass es uns Berufsverbände gibt, weil wir politische Entscheidungen besser als Verband beeinflussen oder anschieben können, als es ein Einzelkämpfer kann. Wir arbeiten in Sachsen-Anhalt sehr gut zusammen und treten gemeinsam für die Interessen der Kollegen ein. Das ist sehr wichtig, gerade wenn es um politische Entscheidungen oder um Verträge mit Krankenkassen geht. Wir haben ganz andere Möglichkeiten, Vorschläge und Verträge zu prüfen, als ein einzelner Therapeut. Allein unser Landesverband hat rund 1.000 Mitglieder, in ganz Deutschland sind es 30.000.

Das klingt erst einmal viel. Reicht das denn aus?

Rikirsch-Schöning: Nein. Wir haben ganz klar einen Fachkräftemangel. Auch im Burgenlandkreis, etwa in Osterfeld, Naumburg und Bad Kösen, wird gesucht. Die Zahl der Neu-Auszubildenden geht im ganzen Land nach unten. Viele brechen ihre Ausbildung auch vorher ab, weil sie doch sehr anspruchsvoll ist. Der Druck, dem die Kollegen ausgesetzt sind, ist groß. Die Zahl derer, die ihn nicht mehr aushalten, steigt. Es gibt leider viele, die nach einigen Jahren ausgebrannt sind und aufhören. Im Gegensatz dazu steigt der Bedarf an Physiotherapien und damit an Therapeuten an.

Spürt das der Patient schon?

Rikirsch-Schöning: Ja, schon jetzt können viele Praxen die erforderliche Frist von 14 Tagen nicht mehr erfüllen. In der sollte eigentlich ein Kassenrezept begonnen werden. In absehbarer Zeit  wird der große Knall kommen, akute Patienten können nicht mehr so schnell, wie es nötig wäre, behandelt werden.

 

"Wir fordern 38,7 Prozent mehr Gehalt"

Ist nur der demografische Wandel Schuld am Fachkräftemangel?

Rikirsch-Schöning: Nicht nur, er spielt eher eine kleine Rolle. Es ist ein wunderschöner Beruf, aber leider nicht mehr attraktiv. Vor allem weil er wirtschaftlich nicht mehr tragbar ist. Ein Familienvater kann seine Familie von dem Geld allein nicht mehr ernähren. Wir fordern deshalb gutes Geld für unsere gute, hochdifferenzierte und sehr anspruchsvolle Arbeit. Da müssen Politik und Krankenkassen endlich reagieren und die Leistungen besser vergüten. Wir fordern deshalb 38,7 Prozent mehr für Physiotherapeuten. Dazu gibt es eine bundesweite Kampagne von unserem Verband. Aber leider ist das in der Politik noch nicht angekommen. Ohne uns wäre beispielsweise die Zahl der Anträge auf eine Reha viel höher. Wir leisten einen wichtigen Beitrag zum Gesundheitswesen. Wir sorgen dafür, dass Arbeitnehmer bei Krankheit oder Arbeitsunfällen wieder schneller an den Arbeitsplatz zurückkehren können. Trotzdem werden wir nicht angemessen bezahlt. Das wirkt sich auch auf die älteren Kollegen aus, die vor der Rente stehen. Ihnen droht Altersarmut.

Sie sprachen auch von einer sinkenden Zahl der Neu-Auszubildenden. Ist auch da die Politik gefordert?

Rikirsch-Schöning: Ja, denn es gibt nur wenige staatliche Schulen, an denen die Ausbildung nichts kostet. Dementsprechend gibt es auf die wenigen Plätze einen großen Ansturm. Die Plätze an den Privatschulen kosten Geld. Das ist für junge Menschen ein nicht unerheblicher Faktor. Und nach den drei Jahren Ausbildung hat man eine solide Grundausbildung. Weiterbildungen sind da unerlässlich. Doch diese sind hochspezifisch und dadurch teuer. Sie kosten den Therapeuten wieder Geld, und das bei geringem Einkommen. Zumal sie das Einstiegsgehalt durch die Weiterbildungen kaum steigern können. Wir fordern daher auch eine kostenfreie Ausbildung.

Was unternimmt der Verband über die Kampagne hinaus noch?

Rikirsch-Schöning: Auf vielen Ebenen sind wir ständig mit politischen Vertretern aus unterschiedlichen Fraktionen im Gespräch. Wir brauchen diese Lobby in der Politik, wenn wir Veränderungen wollen. Dabei geht es nicht nur um die finanzielle Anerkennung, sondern auch um unsere Berufslobby, also darum, den Beruf attraktiver zu gestalten und aufzuwerten gegenüber anderen Heilmittelerbringern und vor allem Leistungsträgern. Wir schaffen Netzwerke, um mit anderen Institutionen, Vereinigungen und Bildungsträgern zu kooperieren. Hier geht es im Wesentlichen darum, gemeinsame Interessen zu bündeln, strategische Ziele zu planen und diese umzusetzen. Wir denken auch an Fusionen oder an die Bildung einer Heilmittelkammer in Sachsen-Anhalt.  (mz) 

Vorsitzende des Landesverbandes Constanze Rikirsch–Schöning
Vorsitzende des Landesverbandes Constanze Rikirsch–Schöning
privat