Halle Halle: Arzt bedauert Tod eines Kindes

HALLE/MZ. - Sie sitzt auf dem Zeugenstuhl,knetet mal hilflos, mal aufgebracht ihre Taschentücher.Und bricht immer wieder in Tränen aus. "Ichkann", sagt Kerstin Stapel verzweifelt, "bisheute nicht begreifen, was da passiert ist".Ihr Sohn lebt nicht mehr. Er starb, geradezweieinhalb Jahre alt, nach einer Narkosebeim Zahnarzt in Zeitz (Burgenlandkreis).Sein neunjähriger Bruder - eines von dreiGeschwistern - sagt oft: "Ich will Hanneswiederhaben." Hannes war der Jüngste in derFamilie, ein Nachzügler. Ein gesundes kleinesKind - bis zu jener tragischen Behandlungam 14. Januar 2009.
Seit Dienstag läuft am Landgericht Halle derProzess gegen den Narkosearzt, den der Zahnmedizinerdamals hinzugezogen hatte. Staatsanwalt KlausWiechmann wirft Ronald R. (53) fahrlässigeTötung vor, das Gericht sieht auch Anhaltspunktefür den schwerwiegenderen Vorwurf der Körperverletzungmit Todesfolge. R., sagt Wiechmann, habe fürdie Vollnarkose ein Gerät eingesetzt, "dasfür die maschinelle Beatmung eines Kleinkindesungeeignet und unzulässig ist". Eine Überwachungder Sauerstoff-Versorgung sei nicht möglichgewesen, R. habe so den Sauerstoffmangel zuspät erkannt. Trotz Wiederbelebungsversuchenund Behandlung in einer Leipziger Klinik wurdezwei Tage später der Gehirntod von Hannesfestgestellt.
Ronald R. äußert sich zum Prozessauftaktnicht selbst. Von seiner Anwältin lässt ereine Erklärung verlesen, dass er Hannes’ Todzutiefst bedauere, dessen Leben unter keinenUmständen habe gefährden wollen. R. habe 30Jahre als Narkosearzt gearbeitet - auch mitKindern. Nie sei es zu einem Zwischenfallgekommen.
Bis zu jenem 14. Januar. Im Kindergarten seienan Hannes’ Zähnen schwarze Punkte entdecktworden, schildert die Mutter. Doch bei derZahnärztin macht der Junge aus Angst den Mundnicht auf. Er wird in die Praxis von SteffenT. überwiesen. Dort soll die Kariesbehandlungan neun Zähnen unter Narkose erfolgen. "Ichhatte Zweifel, wollte es lieber im Krankenhausmachen lassen", so die 46-Jährige. Doch inder Praxis habe man auf sie eingeredet, dassbei einer so kleinen Operation nichts passiereund ein Kliniktermin lange nicht frei sei.Sie habe sich schließlich zur Narkose in derPraxis durchgerungen, um Hannes größere Zahnproblemezu ersparen. "Dann haben wir es hinter uns",hat sie noch zu ihm gesagt.
Morgens um 8 Uhr beginnt die Behandlung. DieMutter wird aus dem Raum geschickt. Sie hörtdraußen den Bohrer, doch dann beschleichtsie das Gefühl, dass etwas nicht stimmt. Sieglaubt, durch eine Scheibe eine Herzdruckmassagezu erkennen. Erst später wird sie ins Sprechzimmergeholt. "Das lief alles wie im Film vor mirab." Seit dem Tod ihres Kindes ist die 46-Jährigein ärztlicher Behandlung. Die Kraft, den Prozessselbst weiter zu verfolgen, fehlt ihr.
Er sei mit der Behandlung gerade fertig gewesen,als ihm auffiel, dass sich die Lippen vonHannes bläulich verfärben, schildert ZahnarztSteffen T. vor Gericht. Das war um 8.40 Uhr.Bis zur Ankunft eines Notarztes habe er aufAnweisung von R. Herzdruckmassage gemacht- zum ersten Mal bei einem Kind. Eine Behandlungunter Narkose komme auch bei Kindern häufigervor, sagt T., mit dem Anästhesisten habe erschon öfter zusammengearbeitet. Der Tod vonHannes belaste ihn sehr. Ein paralleles Ermittlungsverfahrengegen den Zahnarzt ist eingestellt worden.
Schwere Vorwürfe indes erhebt Frank Teipel,Anwalt der Eltern. Bei der Kariesbehandlungdes Jungen habe man "mit Kanonen auf Spatzengeschossen", die Notwendigkeit der Vollnarkosebezweifle er. Vor allem aber habe es sichbei dem DDR-Narkosegerät Medimorph 41313 umeines "aus der Steinzeit der Anästhesie gehandelt",das keinen Tüv mehr hatte. NotfallmedizinischeKenntnisse seien unzureichend, Wiederbelebungsversuche"dilettantisch" gewesen. Die Schuld von RonaldR. sei so groß, dass er eine Haftstrafe ohneBewährung anstrebe, so Teipel. Entscheidendaber sei zu erreichen, dass R. nicht mehrpraktizieren darf. Zudem wollen die ElternSchmerzensgeldanspruch stellen - 50000 stattder von der Versicherung angebotenen 10000Euro.
Der Prozess gegen R. soll bis zum 9. Septemberdauern. Bei einer Verurteilung wegen fahrlässigerTötung drohen dem Anästhesisten bis zu fünfJahre Haft, bei Körperverletzung mit Todesfolgezwischen drei und 15 Jahren.