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Flüchtlinge in Kretzschau Flüchtlinge in Kretzschau: Thema Nummer eins

Von Yvette Meinhardt 24.09.2015, 18:31
„Liebe statt Rassismus“ ist auf einem Plakat zu lesen.
„Liebe statt Rassismus“ ist auf einem Plakat zu lesen. Marco Junghans Lizenz

Kretzschau - Beim Bäcker in Kretzschau gibt es seit Tagen nur ein Thema: 217 Flüchtlinge sollen in der Jugendherberge überwintern. „Diese Nachricht haben wir aus den Medien erfahren, geredet hat mit uns niemand. Seitdem dreht sich beinahe jedes Gespräch darum“, sagt Monika Matz, seit vielen Jahren Inhaberin des Backshops. Es ist der einzige Laden im 1 000-Seelen-Ort. Hier erfährt man das Neueste, so wie früher im Konsum. Beim Thema Flüchtlinge kursieren aber vor allem Gerüchte. „Im Dorf weiß man nichts Genaues“, sagt Monika Matz.

„Ich habe einen Anruf aus dem Innenministerium erhalten. Zeitgleich liefen die Meldungen schon in den Medien“, sagt Bürgermeisterin Anemone Just (CDU). Aus ihrer Sicht ist noch genügend Zeit, sich auf die Ankunft der Flüchtlinge vorzubereiten. Denn diese sollen frühestens am 1. November kommen. Die Jugendherberge Kretzschau soll vorübergehend als Außenstelle der Zentralen Anlaufstelle für Asylbewerber (Zast) Halberstadt dienen. „Leerstehende Wohnungen für eine längerfristige Unterbringung hat die Gemeinde nicht“, sagt Just. „Ich bin der festen Überzeugung, dass in Kretzschau kein ausländerfeindliches Klima herrscht“, fährt die Bürgermeisterin fort.

Manche im Dorf seien lediglich unsicher, wie die konkrete Umsetzung bei der Unterbringung der Flüchtlinge laufen soll. „Andererseits haben mich viele angesprochen, die gerne helfen möchten, egal ob mit Sachspenden oder beim Deutschlernen“, sagt Just. In der Schule sei man vorbereitet. Ab einer Anzahl von fünf ausländischen Kindern werde es einen speziellen Deutschkurs geben. Mit der Jugendherberge lädt die Gemeinde jeden Sonntag von 10.30 Uhr bis 12 Uhr zum Bürgerkaffee ein. Darüber organisiert Anemone Just ein Treffen für Leute, die sich als freiwillige Helfer engagieren wollen. Es findet am Mittwoch um 18.30 Uhr in der Gaststätte Tolle Knolle statt.

Der Unwissenheit hat Christin Scharf den Kampf angesagt. „Das Geld für die Flüchtlinge kommt vom Bund und wird über das Land ausgereicht. Es ist auf keinen Fall Geld, welches den Kommunen an irgendeiner Stelle weggenommen wird“, sagt Scharf, die Sprecherin der neu formierten Initiative „Fremde brauchen Freunde“.

Zeitzer Wäscheunion

15 Mitglieder gehören zum Orga-Team. „Wir wollen die Menschen aufklären, wachrütteln und sensibilisieren“, sagt sie. Der 28-Jährigen zerreißen Flüchtlingsbilder mit traumatisierten Kindern das Herz. „Uns geht es gut in Kretzschau und viele sind bereit, etwas abzugeben“, sagt Scharf. Das fängt bei Zeit zum Fußballspielen an, geht über Kleidung und Spielzeug bis zur ehrenamtlichen Hilfe von Lehrern und Ärzten. Wer Fragen habe, der soll sie im Bürgerkaffee stellen. „Dort haben wir kompetente Partner. Am Sonntag kommt ein Mann von der Ausländerbehörde des Burgenlandkreises, der Fragen zum Asylrecht beantworten will“, sagt Scharf.

Die Flüchtlinge sind aber nicht die ersten Einwanderer, die in Kretzschau wohnen. Früher haben im Stahlwerk viele Ausländer gearbeitet: Vietnamesen, Ungarn und Kubaner. Auch in der Zeitzer Wäscheunion oder im Hydrierwerk gab es Arbeiter aus anderen Ländern. „Es waren viele nette Kerle darunter, manche Vietnamesen leben heute noch in Zeitz“, sagt ein Mann im Handwerkerhof. Seinen Namen will er lieber nicht nennen. Aber: „Sind wir öffentlich für die Ausländer, haben wir die Rechten am Hals, sagen wir etwas Kritisches, müssen wir um den Verlust öffentlicher Aufträge fürchten“, sagt ein gestandener Unternehmer.

In Kretzschau leben schon immer die meisten Ausländer in der Verbandsgemeinde, nämlich 15, darunter zwölf EU-Bürger. Der Döner-Laden im Ort genießt ein hohes Ansehen, nicht zuletzt, weil sich Vater und Sohn Salmanow im gesellschaftlichen Leben und im Sport engagieren. Junior Jaschar Salmanow holte für seinen Kampfsportverein Jodan Kamae sogar den Weltmeistertitel. (mz)

Bürgerkaffee jeden Sonntag 10.30 bis 12 Uhr in der Jugendherberge.