Einzige Baumpflegerin Mitteldeutschlands Einzige Baumpflegerin Mitteldeutschlands: Die Frau im Baum

Kirchsteitz - Andrea Weinl lacht mit der Sonne um die Wette. Mit einem gezielten Wurf platziert sie den Wurfsack in die Astgabel eines Baumes, ein Seil fällt daraus herunter. Und schon im nächsten Moment schwingt sich die drahtige Frau an eben jenem Seil mit viel Muskelkraft und Geschick gut 20 Meter in die Höhe und postiert sich in der Krone einer stattlichen Eiche. „Meine Arbeit ist mein Leben, an so herrlichen Tagen wie diesen macht es mir mein Job unheimlich viel Spaß“, sagt die 47-Jährige.
Sie übt den seltenen Beruf einer Baumpflegerin aus. Das Besondere daran: Sie verzichtet auf eine Hebebühne und erobert den Baum mit ihrer reinen Muskelkraft. An diesem Tag klettert sie die alte Eiche in Kirchsteitz hinauf. Der Baum ragt gut und gerne 25 Meter in die Höhe, besitzt eine wunderbar ausladende Krone und steht an exponierter Stelle mitten im Dorf, nur einen Steinwurf weit von der Kirche entfernt. „Es ist ein herrlicher Baum an dem auch noch niemand rumgeschnippelt hat“, schwärmt die Frau aus Geußnitz und macht sich ans Werk. Zuerst setzt sie die kleine Handsäge an, die sie am Gürtel befestigt hat und nimmt Totholz heraus. Für größere morsche Äste holt sie gemeinsam mit einem zweiten Mitarbeiter eine Motorsäge nach oben, sichert sich an einem Stahlseil und legt beherzt los. Es ist eine bewundernswerte Balance von Körperbeherrschung und handwerklichem Können.
Die herausgeschnittenen Äste fallen herab, deswegen ist das Areal weiträumig abgesperrt. Der Schredderer steht bereit und kommt gleich vor Ort zum Einsatz. Andrea Weinl hat ihr Handwerk von der Pike auf gelernt. Ihre erste Lehre absolvierte sie allerdings im Kuhstall von Salsitz. Nach der Wende wurde der Stall geschlossen und sie ging nach Mainz, schulte zur Gärtnerin um. Meisterschule und eine Spezialausbildung zur Baumpflegerin folgten. Vor 13 Jahren machte sie sich in diesem Beruf selbstständig und kehrte in die alte Heimat zurück. „Der Beruf eines Baumpflegers ist recht selten, und in Mitteldeutschland habe ich in meinem Job noch keine zweite Frau in den Bäumen klettern gesehen“, sagt sie. Aus diesem Grund reichen ihre Aufträge weit über die Region hinaus, so reist sie bis Dresden oder Leipzig. Zugutekommt ihr in ihrem Job heute, dass das Bewusstsein für Umweltpflege in den vergangenen Jahren deutlich gewachsen ist.
Linde als Lieblingsbaum
„Die Gemeinde Kretzschau ist in diesem Punkt ein verlässlicher Partner“, sagt Andrea Weinl. So nahm sie in Kirchsteitz nicht nur die alte Eiche in Kur, sondern auch eine weitere Kastanie, in Salsitz waren es eine Linde und ein Ahorn. Bis Ende Februar herrscht für Baumpflegearbeiten Hochsaison, denn später im Frühjahr beginnen die Vögel zu brüten. Und Eingriffe in die Natur sollten so wenige wie möglich erfolgen. Totholz darf allerdings das ganze Jahr über beseitigt werden. Als ihren Lieblingsbaum nennt sie die Linde. Das Holz sei angenehm weich zum Klettern und im Frühjahr versprühen die Lindenblüten einen betörenden Duft. Natürlich geht in diesem Job nicht immer alles glatt. Vor zwei Jahren ist die Frau aus einer Höhe von sieben, acht Metern abgestürzt, hat sich dabei Becken gebrochen und die Schulter schwer verletzt. Neben den gesundheitlichen Folgen gab es ein wirtschaftliches Tal in ihrer Selbstständigkeit, das sie erst einmal durchschreiten musste. Doch es ging weiter. „Ich hatte keine Probleme, nach meiner Genesung wieder hochzuklettern“, sagt sie heute.
Wo liegen die Vorteile dieser abenteuerlichen Kletterei? „Beim Einsatz eines Hubwagens werden oftmals Bäume beschädigt. Ich komme auch ohne Korb ganz locker bis hoch in die Krone“, sagt die Expertin. Sie arbeitet sich von innen nach außen vor, nimmt wirklich nur jenes Totholz heraus, was bei starkem Wind zu einer Gefahr werden könnte. „Da wo ich bin, ist oben“, sagt sie und lacht. Zum Ausgleich setzt sie auf Yoga. Auch da gibt es die Figur eines Baumes, verrät sie und lässt sich flugs kopfüber in zehn Metern Höhe vom Baum baumeln. Spaß bei der Arbeit eben.
Ihr Zuhause ist bodenständig und von ländlicher Natur geprägt. Sie lebt auf ihrem Pferdehof in Geußnitz. Das ist ihr Ausgleich zu einem anstrengenden Beruf. Im Inneren weiß sie genau, dass sie diesen Job nicht ewig machen kann. „Ich sitze schon wieder auf der Schulbank und bilde mich zur Sachsverständigen weiter. Falls ich irgendwann aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr klettern kann, werde ich Gutachter“, plant die 47-Jährige ihre Zukunft. Doch in diesen Tagen findet man sie in den Wipfeln der Bäume. (mz)

