1. MZ.de
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Zeitz
  6. >
  7. Der Löwe unter Hyänen wirft neue Fragen auf

Der Löwe unter Hyänen wirft neue Fragen auf

Von ANGELIKA ANDRÄS 05.05.2009, 17:14

ZEITZ/MZ. - Dass dies auch eine öffentliche Erkenntnis zu Brüsewitz wird, hat nicht nur lange gedauert, sondern ist auch einer seiner Lebenslügen zu danken: Seine Tochter Renate Brüsewitz-Fecht aus erster Ehe, von der kaum jemand wusste, veröffentlichte im Projekte-Verlag Halle den "Fall Oskar Brüsewitz" und las daraus in Zeitz.

Ein Buch, das Verleger Cornelius Hahn für wichtig hält, um Brüsewitz vom Kopf wieder auf die Füße zu stellen. Für ihren Lektor Manfred Jendryschik ist das Buch ein Anfang, sich mit dem widersprüchlichen Leben von Brüsewitz zu befassen, zugleich ein Anstoß zum Nachdenken über den Umgang mit Übervätern, Helden und Mythen in der heutigen Zeit. Wobei ihr Vater für Renate Brüsewitz-Fecht kein Märtyrer ist: "Ein Märtyrer ist für mich Dietrich Bonhoeffer. Er hat durchgehalten, ihm hat sein Gott die Kraft gegeben, durchzuhalten. Ich frage mich, warum Gott meinem Vater nicht die Kraft gegeben hat, durchzuhalten."

Unter dem Buchtitel "Das Kreuz und die Flamme" stand auch die erste Lesung, die eigentliche Buchpremiere, die in Zeitz stattfand. In der Stadt also, in der sich Brüsewitz im Jahr 1976 anzündete. In der Stadt, in der er als Held und Märtyrer, als Widerstandskämpfer gegen das DDR-Regime gilt und bislang ohne Gegenrede und Transparenz verehrt wird.

Sehr viele Besucher drängten ins Theater Kürbiskern, wohin der Lions Club Zeitz zu dieser Lesung eingeladen hatte. Sie folgten der Erstlingsautorin Brüsewitz-Fecht ein gutes Stück durch den ersten Teil des Buches. Der erinnert mit der Flucht des Löwen in die Welt innerhalb der Mauern und seinem Leben unter schwarzen Pudeln und Hyänen und Halbhyänen im Dienste der Hyänen an die großen Fabeln. Und wirkt letztendlich auch so: Die sehr schöne parabelhafte Form ermöglicht der Autorin die Erzählung der Geschichte, sie ermöglicht es dem Zuhörer - Leser - ihr zu folgen, zu hinterfragen, zwingt ihn nachzudenken und vielleicht darüber zu reden. Die Geschichte vom Löwen, den sie innig liebt, das ist ihr Text: Das sind die Gedanken und Gefühle der verlassenen Tochter, der nur ihre Sehnsucht, ihre Vorstellung vom Vater bleiben sollte. Bei aller Liebe jedoch ertrug sie die Verleumdungen, die Lügen, die es bis auf die Buchseiten von Freya Kliers "Störenfried" gebracht hatten, nicht mehr: Brüsewitz hatte die erste Frau nicht verlassen, weil sie ihn betrog. Er wurde schuldig geschieden, ließ die Familie mit Schulden zurück, zahlte nie Unterhalt für die Tochter. Auch entkam er einem Verfahren der Staatsanwaltschaft Hildesheim wegen Unterschlagung durch die Flucht in den Osten. Den bereinigten Lebenslauf des Oskar Brüsewitz will sie korrigieren, den Darstellungen als Märtyrer ein Ende setzen. Sie enthält sich aber jeder Wertung und lässt im Dokumententeil des Buches die Dokumente für sich sprechen.

Die Gesprächsrunde warf viele Fragen auf, spiegelte viele Ansichten und manche Unsicherheit wider. Frank Götschenberg beispielsweise fragte bezeichnenderweise, warum Brüsewitz in der Parabel ein Löwe, der König der Tiere sei. Und ob er sich an jenem Tag im August 1976 tatsächlich umbringen wollte. Fragen, die zwar (noch) nicht diskutiert wurden, aber verdeutlichen, was diskutiert werden muss. Denn noch ist vieles offen im Fall Brüsewitz, noch kamen kritische Zeitzeugen fern der Heldenverehrung nicht zu Wort. Renate Brüsewitz-Fechts Buch ist ein Anfang zu mehr Transparenz und Ehrlichkeit. Man muss sich auch in Zeitz der Geschichte stellen. Ohne den geliebten Helden gleich vom Sockel zu holen. Oder, wie Fecht sagte: "Ich will nicht mit ihm abrechnen, ich liebe meinen Vater, ich will nur den Manipulationen ein Ende setzen."