Ausgrabungen in Goseck Ausgrabungen in Goseck: Steinzeit-Opferung am Pflaumenweg?
Goseck/MZ. - Der Rand eines Gefäßes wird sichtbar auf dem Acker am Gosecker Pflaumenweg. Stück für Stück legt Jana Kaßler die Keramik mit Stukkateureisen, Besen und Pinsel frei und damit das, was 7 000 Jahre unter den Erdschichten verborgen lag. Es ist wie ein Wunder, dass der dunkelbraune Topf mit seinen linearen Bändern die Zeiten überdauert hat. Als Grabbeigabe enthielt er einst den Proviant auf dem Weg ins Reich der Toten. Denn auch das Skelett eines einjährigen Kindes wird sichbar.
Das entschädigt die 23-Jährige für die Plackerei während der Lehrgrabung der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Und sie verweist auf den damaligen Begehungshorizont gut einen halben Meter unter der heutigen Erdoberfläche. Es ist, als ob ein Kapitel im Geschichtsbuch aufgeschlagen wurde. Die eiszeitliche Schotterterrasse mit ihren 200 000 Jahre alten Ablagerungen wird sichtbar, die hier den Bauern der Neuzeit ein tieferes Pflügen verbot, so dass die Funde viel besser erhalten blieben als andernorts. Und das geübte Auge des Archäologen erkennt auf der gesäuberten Fläche jede Bodenverfärbung, die auf Veränderung durch Menschenhand hindeutet.
Professor François Bertemes, der die Grabungen leitet, weist auf zahlreiche Pfostenlöcher hin. Hier waren die Balken für ein sechs mal fünfzehn Meter großes Haus, das mit der schmalen Seite in der Windrichtung stand. Direkt neben der Hauswand befindet sich das Grab aus der gleichen Zeit. Deutlich wird auch ein Graben. Ein Suchschnitt, der angelegt wurde, lässt Knochen ebenso zutage treten wie Scherben. Und die wiederum ermöglichen mit ihren Stichbändern die Einordnung in die erste Hälfte des fünften Jahrtausends vor Christus. Neben dem eiszeitlichen Schotter finden sich weitere menschliche Überreste. "Es ist eine Sonderbestattung und die ist nicht auf normale Weise in die Erde gekommen." Hinter diesen Worten stehen viele Fragezeichen. Knochen wie Schädel und Schulterblätter fehlen. Eine Pfeilspitze findet sich. Bertemes wirkt ein wenig ratlos. Handelt es sich um eine Opferung, könnte diese im Zusammenhang stehen mit der Anlage, die hier vor zehn Jahren aus der Luft fotografiert wurde. Ein Kreis von 70 Metern Durchmesser und mit drei Öffnungen war im Feld sichtbar geworden und zeugte auf diese Weise von den Veränderungen im Boden.
Schon jetzt lassen die Funde eine Einordnung in die Jungsteinzeit vor gut 6 500 Jahren zu. Damit handelt es sich um die älteste Kreisgrabenanlage Europas. Professor Bertemes spricht vom Woodhenge, dem nicht viel an der Bedeutung von Stonehenge in Südengland fehle. Ob es sich um ein Heiligtum handele, müsse noch endgültig geklärt werden. Viele Indizien sprechen zumindest für einen heiligen Bezirk. Interpretationen, wonach hier Vieh untergebracht oder ein Versammlungsplatz gewesen sei, gibt es ebenfalls. Die Annahme, dass die Anlage aus strategischen Gründen entstanden sei, wäre hingegen wegen der großen Tore kaum haltbar. "Ich glaube aber nicht, dass die Einrichtung nur eine Funktion hatte." Und der 45-Jährige gestattet einen Einblick in das Leben der damaligen Ackerbauern. Die seien in der frühen Jungsteinzeit aus dem Karpatenbecken Richtung Norden gezogen.
Um eine regelrechte Landnahme habe es sich damals gehandelt, bei der die Wälder abgeholzt wurden. Die angelegten Felder seien so lange genutzt worden, wie sie einen guten Ertrag abwarfen. Nach rund zehn Jahren seien die Menschen weitergezogen. Für Bertemes ist die Grabung "im reichsten Bundesland in Sachen archäologische Funde neben Bayern" eine einmalige Angelegenheit. In den nächsten zehn Jahren soll die Anlage vollständig ausgegraben sein. Bis dahin sollen Astronomen auch geklärt haben, ob die Öffnungen im Graben etwas mit den Bewegungen der Himmelskörper zu tun haben.
Möglich, dass im nächsten Sommer auch Jana Kaßler wieder mit auf die Reise in die Steinzeit geht. Sie stammt aus dem Norden und hat angesichts der Ausgrabungen bei Arkona auf Rügen Feuer für die Archäologie gefangen. Wen wundert's, dass sie ihr ursprünglich begonnenes Geologie- und Agrarwissenschaftsstudium abbrach. Obwohl ihr Job nicht nur Spannung bietet, eben weil vor den spektakulären Entdeckungen mühevolle Knochen- und Kleinarbeit stehen, sei er für sie faszinierend. Immerhin gestattet er auch Einblicke in das damalige Seelenleben. Und das der Menschen aus der Steinzeit sei gar nicht so weit entfernt von dem heute, meint die junge Frau. Jedenfalls mache das Kindergrab deutlich, wie liebevoll die Eltern ihren Nachwuchs bestatteten.
Informationen gibt es unter www.praehist.uni-halle.de