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100-jähriges Bestehen 100-jähriges Bestehen: Grüne Tomaten statt Zitronat

Von Rolf Kern 06.02.2004, 18:55

Obergreißlau/MZ. - Schon damals war es recht eng in dem urigen Verkaufsraum in der Borngasse 2, in dem der verführerische Duft nach Gebackenem in der Luft lag und liegt. Der erste Besitzer hat seine Brötchen vor 100 Jahren über genau dem Ladentisch verkauft, der auch noch heute seine Funktion erfüllt. Während des Ersten Weltkriegs war Otto Tille für sein Vaterland als Soldat im Einsatz, während seine Frau Klara nachts backte und tagsüber die Ware an die Dorfbewohner verkaufte.

Die Herstellung der Brötchen und Brote war zu dieser Zeit eine körperlich harte Arbeit, denn Maschinen gab es kaum. Gleichzeitig zog Klara Tille vier Kinder groß. Das Geschäft wurde bis 1930 geführt, ehe Sohn Albert in die Fußstapfen seines Vaters trat. Während des Zweiten Weltkriegs musste der Laden vier Jahre geschlossen werden. Nachdem Albert Tille 1946 aus der Gefangenschaft zurückgekehrt war, sollte es wirtschaftlich wieder bergauf gehen. Zur selben Zeit begann der heutige Senior-Chef, Wolfgang Tille, seine Lehre und absolvierte 1955 die Meisterprüfung.

Es dauerte jedoch bis zum Jahr 1967, ehe er das Unternehmen übernehmen durfte. Sein Sohn Andreas war eine Zeitlang ebenfalls im elterlichen Betrieb beschäftigt, musste die Arbeit jedoch vorübergehend wegen einer Mehl-Allergie aufgeben. Heute verarbeitet er nur noch Produkte, die in keinem Zusammenhang mit Mehl stehen. Wolfgang Tilles Enkel Uwe hat bei seinem Kollegen Bobolowski gelernt und soll die Firma mal übernehmen. Dafür muss er sich jedoch noch gedulden, denn er darf frühestens in zwei Jahren mit seinem Meisterlehrgang beginnen.

Senior-Chef Wolfgang Tille ist im September vorigen Jahres aus dem Unternehmen ausgeschieden. "Wir haben praktisch in der Backstube gelebt", erinnert sich seine Frau. Auch wenn Tille seinem Enkel, Sohn und dem Gesellen Sven Büttner viel zutraut, ist er doch häufiger im Laden anzutreffen, als mancher erwartet. "Wenn Not am Mann ist, helfe ich selbstverständlich", betont der 72-Jährige. Für den Einkauf und die Büroarbeiten ist Schwiegertochter Griseldis zuständig. "Die schmeißt eigentlich den Laden", so Seniorin Dagmar Tille. Die 68-Jährige betont, dass in dem Betrieb auch heute nach original DDR-Rezepten gebacken wird. Zusätze sind verpönt. Damals sei die Lage freilich schwierig gewesen, weil häufig die nötigen Zutaten fehlten. Da gab es zur Stollenzeit grüne Tomaten statt Zitronat. "Hauptsache, die Kunden haben etwas Grünes gesehen", erinnert sich die Frau. Das damalige Leben sei nicht lustig gewesen. So musste unter anderem jedes neue Rezept eingereicht und vom Rat des Kreises genehmigt werden.