Ex-Ministerpräsident Böhmer erinnert sich Wolfgang Böhmer erinnert sich an den Kirchentag in der DDR
Wittenberg - Wären Gesprächsrunden nicht so anstrengend, Wolfgang Böhmer würde sicher öfter Einladungen dazu annehmen. Die Wittenberger haben ab und zu das Vergnügen, den ehemaligen Chefarzt des Paul-Gerhardt-Stiftes und früheren Ministerpräsidenten Sachsen-Anhalts live zu erleben.
Bei der Kirchentag-Gesprächsreihe „Du siehst mich im Rückspiegel“ in Wittenberg mit Zeitzeugen früherer Kirchentage in der Evangelischen Akademie war am Donnerstag auch Böhmer zugegen.
Er wisse noch genau, dass er zum Kirchentag 1983 aus dem Fenster seiner Wohnung gesehen hat, erzählte er auf die Fragen der Moderatoren Lothar Tautz vom Verein „Gegen Vergessen - Für Demokratie“ und Ursula Meckel, Pastorin aus Thale.
„Ich hatte an dem Tag Bereitschaftsdienst, musste also telefonisch erreichbar sein. Gegenüber war die Zentrale der Staatssicherheit, da fuhren an dem Tag mehrere Reisebusse hinein. Nach einer gewissen Zeit kam ein Schwarm von Leuten heraus, das waren alles Familien, die haben draußen noch die Filme in ihre Kameras eingelegt. Die Stasi hat jede Menge Privatpersonen auf den Markt geschickt, um Fotos zu machen.“
Wolfgang Böhmer erinnert sich an die DDR: Patienten halfen beim Bau des Schwesternhauses
In seine Zeit als Mediziner fiel auch der Bau des Schwesternhauses, das ursprünglich als Gästehaus für den Kirchentag diente. Zwar kam nach langem Kampf die Genehmigung zum Bau. Aber beim Rat des Kreises hieß es, dass es weder Material noch Leute dafür gebe. Also „kümmerten“ sich die Ärzte, indem sie bei ihren Patienten nach den Berufen schauten und gegebenenfalls nachfragten. Den Bau übernahm dann eine Feierabendbrigade.
„Beziehungen schaden nur dem, der keine hat“, zitierte Ursula Meckel ein geflügeltes Wort aus der DDR. Dem Böhmer beipflichtete: „Das gilt auch heute noch.“
Manche dieser Anekdoten weiß er zu erzählen - nur, dass sie seinerzeit keine Anekdoten waren, sondern oft bittere Realität. Seine Gespräche mit Richard von Weizsäcker, damals Regierender Bürgermeister von Berlin, bezeichnete Böhmer als sehr interessant, ebenso wie einen Besuch des früheren Ministerpräsidenten von Bayern, Edmund Stoiber.
„Vertrauen wagen“, das Motto des Kirchentages 1983, ist für Wolfgang Böhmer immer noch aktuell und hat vor allem im Umgang der Konfessionen miteinander enorm an Bedeutung gewonnen. „Heute ist Ökumene ein Standardbegriff, zu dem sich Protestanten und Katholiken bekennen“, sagte Böhmer. „Die Welt hat sich auch unter uns Christenmenschen geändert.“ (mz)