Wittenberger Innenstadt Wittenberger Innenstadt: Wieso Landeskirchen in leere Geschäfte einziehen

Wittenberg - Die Ersten werden die Letzten sein und die Letzten die Ersten, heißt es umstürzlerisch in der Bibel und seither warnend auch im Volksmund, doch manchmal möchten die Kirchen trotzdem die Ersten sein: Drei Landeskirchen aus dem Nordwesten nehmen bereits jetzt Quartier am Ort des Reformationsjubiläums.
„Damit sind sie die ersten Landeskirchen deutschlandweit, die ihre Zelte inmitten der Lutherstadt Wittenberg aufschlagen“, rühmen sich die Bremische Evangelische Kirche, die Evangelisch-Lutherische Kirche in Oldenburg und die Evangelisch-reformierte Kirche mit Sitz in Leer, Ostfriesland. Am Montagabend haben sie ihr Wittenberg-Domizil in der Collegienstraße 30 bezogen. Damit wohnt nun unübersehbar „Gott?“ im früheren Frisiersalon.
Auch abseits der Kirchenkreise tut sich derzeit einiges in der Wittenberger Altstadt. Prominentestes Beispiel: das „Thalia“-Haus am Markt, das seit dem Umzug der gleichnamigen Buchhandelskette (vormals „Gondrom“) ins Einkaufszentrum „Arsenal“ leerstand. „Das Bauwerk wird saniert“, bestätigte am Montag auf MZ-Anfrage der Buchunternehmer Volker Gondrom aus Bindlach (Bayern). „Wir beräumen gerade und wollen es schnellstmöglich in die Gänge schieben.“ Es gebe noch einige denkmalrechtliche und statische Probleme zu klären. Das Haus mit zwei Zugängen, vom Markt und von der Coswiger Straße her, stammt in Teilen aus der Renaissance und soll laut Gondrom wieder Geschäfts- und Wohnhaus werden. „Darüber freuen wir uns sehr“, sagte Bürgermeister Jochen Kirchner; die Stadt unterstütze Gondrom bei seinen Plänen. (mz/irs)
„denkbar“ heißt „Der Laden“, der den Küstenchristen als Anlaufstelle in der Lutherstadt dienen und gleichzeitig ein Ort der Begegnung mit anderen (nicht nur) Christen sein soll. Zur Eröffnungsfeier mit Oberbürgermeister und weiteren Vertretern der Stadtgesellschaft ging es eng her im Ladenlokal, wo neben dem Schriftzug „Gott?“ Freiwilligen-Porträts von den Stellwänden grüßen.
Praktischerweise gehört zum „Laden“ auch eine Wohnung für maximal vier Personen. „Ihr könnt schon mal schnuppern kommen“, jetzt, nicht erst 2017, so lautet laut Jan Janssen, dem eigens angereisten Oldenburger Bischof, die Botschaft an die Gläubigen daheim. Dass sogar die Reformierten (die sich auf Calvin statt auf Luther berufen) mitmachen beim Gemeinschaftsladen in der Lutherstadt, mag überraschen, hat zwischen Oldenburg, Leer und Bremen aber Tradition, heißt es unter Verweis auf eine langjährige Kooperation, etwa auch auf Kirchentagen.
Sie sind jetzt also da, aber sie lassen es langsam angehen. Die ersten Gäste, so Pressesprecher Ulf Preuß, würden im Juni erwartet. Öffnen werde der Laden 2016 zu wichtigen Wittenberger Veranstaltungen, so zu „Luthers Hochzeit“. Der Dauerbetrieb im Laden, den die drei Kirchen als ihren Beitrag zur „Weltausstellung Reformation“ verstehen, beginne erst binnen Jahresfrist - und ende Ende 2017.
Bethel zeigt ebenfalls Flagge
Auch in Bielefeld-Bethel hat man sich entschlossen, zu 2017 in der Lutherstadt Flagge zu zeigen. Nur wenige Schritte vom „denkbar“-Laden der nordwestdeutschen Landeskirchen entfernt öffnet ebenfalls bereits 2016 ein Laden der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel. Eröffnungstermin für den Bethel-Shop in der Collegienstraße direkt gegenüber der Leucorea ist der 29. Juni 2016, „13 Uhr“, heißt es auf Anfrage am Hauptsitz in Bielefeld.
Damit zieht auch im Erdgeschoss wieder Leben ins als „Spielwaren-Schneider“ bekannte und seit vielen Jahren leerstehende Gebäude ein. Verkauft werden sollen dort, gegen Spenden, wie es heißt, „Kleinigkeiten“ aus den Werkstätten der diakonischen Großeinrichtung, etwa Bio-Joghurt aus Lobetal (Brandenburg); das frühere Heim dort gehört ebenfalls zu den v. Bodelschwinghschen Stiftungen.
Im Vordergrund aber stehe in der Lutherstadt die Vorstellung der eigenen Arbeit und die Begegnung von Menschen, sagt Stiftungsmitarbeiterin Ina Herbell, die von Berlin aus gemeinsam mit einem Kollegen die Veranstaltungen im Jubiläumsjahr 2017 „in Berlin und Brandenburg“ und damit auch den Wittenberger Laden organisiert. Fest geplant sei dann ein Fahrradverleih - in Lobetal pflege man das Upcyclen (Wiederaufbereiten) von Rädern - sowie gegebenenfalls auch die Unterstützung der Stadtkirchengemeinde bei deren Veranstaltungen sowie Angebote für Konfirmanden.
Stiftungssprecher Jan Garlichs macht unterdessen keinen Hehl daraus, dass der Bethel-Shop in Wittenberg aller Voraussicht nach einer auf Zeit sein werde. „Ich gehe davon aus, dass wir den Laden aufgeben werden“ Ende 2017. Ambitionen, die eigene diakonische Arbeit auf Wittenberg - oder auch nur Sachsen-Anhalt - auszuweiten, habe man in Bethel nämlich nicht. Wohl aber einen guten Grund, sich 2017 in der Lutherstadt zu präsentieren: Die Bodelschwinghschen Anstalten (wie sie früher hießen) werden just dann selbst 150 Jahre alt.
Weitere Ansiedlungen in Sicht
Der Drang der Christen in die Wittenberger Altstadt kommt nicht von ungefähr und wird von außen befeuert. Man habe dem Verein „Reformationsjubiläum 2017“ alle leerstehenden Ladenlokale mitgeteilt und kooperiere auch in dieser Frage eng miteinander, sagte auf MZ-Anfrage Bürgermeister und Chefstadtentwickler Jochen Kirchner. Zudem würden entsprechende (Umbau-)Anträge im „vereinfachten Verfahren“ behandelt. Last not least sei auch die Nutzung des früheren Melanchthon-Gymnasiums durch den Verein ja selbst ein gelungenes Beispiel für eine Zwischennutzung leerstehender Bauten, so Kirchner.
Nach Auskunft von Ulrich Schneider, einem der beiden Vereinsgeschäftsführer, stehen weitere Ansiedlungen von landeskirchlichen Vertretungen bevor. Der Stadt lägen zudem Anfragen vor, sagte Oberbürgermeister Torsten Zugehör (parteilos).
