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Wittenberg Wittenberg: Männerchor Borussia feiert Jubiläum

Von irina steinmann 11.02.2014, 20:11
Günter Ganzert mit der Fahne des Männerchors Borussia
Günter Ganzert mit der Fahne des Männerchors Borussia Achim Kuhn Lizenz

wittenberg/MZ - Als sich Trixi an die Fahne anschleicht, wird der Vorsitzende kurz unruhig. Der Stoff ist so schon mürbe, Krallen hält er ganz bestimmt nicht stand. Die rote Katze verzieht sich hinters Sofa, das hat einen robusten Rücken. Vor einigen Jahren, erzählt Günter Ganzert, hätten sie die Fahne sogar noch zum Stadtfest mitgenommen, das machen sie jetzt aber lieber nicht mehr. Dass sie jetzt hier hängt, mehrere Quadratmeter groß, ist nur fürs Foto, er hat sie aus dem Depot geholt, weil der Männerchor Borussia jetzt 140 Jahre alt geworden ist. Der Wiederbeschaffungswert? Sieben- bis Neuntausend Euro, schätzt Ganzert.

Markige Rückseite

Über und über bestickt ist das gute Stück, „Deutsch bis ins Mark“, steht markig auf der Rückseite, die man jetzt gerade nicht sieht. Und Borussia steht für Preußen, so war das damals, das muss man nicht überbewerten. Auch Fußballvereine heißen ja bis heute so. In Wittenberg ist die Borussia jedenfalls der einzige und damit logischerweise auch der älteste Männerchor überhaupt. Dass sein Name einige Jahrzehnte lang mal anders lautete, lauten musste, dass es, noch viel früher, Beitritte anderer Chöre gegeben hatte, ändert daran nichts. Neu eingetragen werden musste der Chor 1990 jedenfalls nicht, sagt Ganzert, der selbst seit etwa dieser Zeit dabei ist und heute wieder, zum zweiten Mal, der Vorsitzende des Chores. Und, nebenbei, der letzte gebürtige Friedrichstädter unter den Aktiven des einst ebendort gegründeten Vereins.

Der Männerchor Borussia wurde am 29. Januar 1874 als „Männer-Gesangverein Friedrichstadt“ gegründet, „um in althergebrachter Weise Jugendfastnachten abzuhalten“, was damals nur Vereinen erlaubt war. Die Eintragung erfolgte bei der Polizei. Der Name Borussia (Preußen) kam laut Chronik 1887 hinzu. Preußen symbolisiert auch die Frauengestalt im Zentrum der Fahne von 1913. Nach Auflösung aller Vereine 1946 firmierte „Borussia“ zu DDR-Zeiten unter „Volkschor Wittenberg Gruppe Friedrichstadt“ und „Männerchor Lebensfreude“. Seit 1. September 1990 heißt es wieder Männerchor Borussia.

16 Mitglieder zählt der seit 2007 von Rosemarie Hajek (Ex-MdL/SPD) geleitete Chor. Das jüngste Mitglied, Peer Lorenz (*1967), ist laut Vereinschef Ganzert gleichzeitig auch der „dienstälteste“ der regelmäßig Aktiven und seit 1985 dabei. Das älteste Mitglied, Herbert Giersch (*1929), gehört dem Verein seit 1958 an, mache aus Altersgründen aber nur noch sporadisch mit. Der Chor hat Mitglieder auch in Cobbelsdorf oder Coswig - und mit Schatzmeister Reinhard Jensch, der dort arbeitet, sogar jemanden aus dem Bundeswirtschaftsministerium. Günter Ganzert ist seit 2009 der Vereinsvorsitzende und war dies schon einmal zwischen 1998 und 2002.

An die 75 Stücke umfasst das Repertoire, Heavy Metal ist wie gesagt nicht dabei, gleichwohl zeigt man sich Neuem aufgeschlossen: „Wir nehmen solche Herausforderungen an“, sagt Ganzert mit Blick auf eine Einladung zum Mitmachen beim Stück „Von Wittenberg nach Woodstock“ des Theaterjugendclubs „Chamäleon“ im Juli.

Geprobt wird in Friedrichstadt, donnerstags, von 19.30 bis 21.30 Uhr in der Gaststätte „Hühnerstall“ (Im Felde). Wer mitsingen möchte, kommt zur Probe oder schickt eine Mail an [email protected].

Über den Dokumenten

Beflissen breitet er die Dokumente aus, die Gründungsurkunde von 1874, die erste „Verfassung“ (Satzung) von 1879, das Kassenbuch dito, die Entwürfe für die Fahne, schließlich die Berichterstattung aus dem Wittenberger Tageblatt über deren Weihe 1913. „Stolz“, sagt Ganzert, Jahrgang 1951, mache ihn all diese versammelte Geschichte, das ist die eine Sache, vor allem aber sei der Chor für ihn so etwas „wie Heimat“, „ich fühle mich wohl, Singen befreit“, erst recht, wenn man es gemeinsam mit anderen tue. (Das er selbst nicht gerade als Chorsänger geboren wurde, sagt Ganzert auch, tatsächlich seien seine Noten in den frühen Jahren nicht eben klasse gewesen im Schulfach Musik, „aber das müssen Sie ja nicht schreiben“, nee, natürlich nicht.)

Folgt man Ganzert, der früher in der Landwirtschaft arbeitete, so folgt auch das Chorjahr festen Regeln und Abläufen. Der Februar, das ist der „Aktionstag der Vereine“, der Juni ist das Stadtfest, der unbestrittene Höhepunkt, dazwischen Frühlingssingen, Auftritte etwa in Altersheimen, und ganz am Ende: der Weihnachtsmarkt in Niemegk, Brandenburg. „Wir fühlen uns dort gut aufgehoben“, sagt Ganzert über die Alte Schmiede in Niemegk-Lühnsdorf. Nur der Juli fällt ein bisschen aus der Reihe. Dann nämlich feiert der Männerchor Borussia - Weihnachten, weil es die für ihren Frohsinn weit über den Ort hinaus berüchtigte „Fidele Kutscherklause“ in Pülzig so will.

Allerdings hat sich, Konstanten hin, Konstanten her, in den zurückliegenden zehn Jahren, seit sich der Männerchor Borussia zuletzt mit einem Jubiläum befasst hat, einiges getan in den Reihen des Vereins. Heavy Metal! Das blieb aber nur eine Episode, sagt Ganzert rasch, bevor sein Gegenüber nun die ganz großen Lauscher kriegt. Nach dem Tod des langjährigen Chorleiters Fritz Neumann wurde die gute alte Borussia für ein halbes Jahr von jemandem geleitet, der auch einer Heavy-Metal-Band angehörte. „Patrick Bongers konnte Klavier spielen und er hat uns über Wasser gehalten“, berichtet Ganzert aus dieser jüngeren Historie. Auswirkungen aufs Repertoire habe das Gastspiel des Heavy-Metal-Mannes allerdings nicht gehabt. „Wir haben keine neuen Lieder mit ihm eingeübt“, erklärt der Vorsitzende sachlich.

Das Lied vom Hans

Bald darauf sollte sein Chor allerdings dann doch „eine Veränderung im Stil erfahren“: weniger „Alte Kameraden“, mehr „Gefangenenchor“ und „Hans, bleib hier“. Günter Ganzert singt jetzt, damit man eine Vorstellung davon bekommt. Tarata, was haben sie das „Hans“-Lied anfangs „gehasst“, sagt er, weil es so kompliziert zu singen gewesen sei. Rosemarie Hajek, die neue Chorleiterin, die 2007 kam, sei es auch gewesen, die der Borussia die Grenzen gezeigt habe: „Dazu sind wir zu schwach“, habe sie die Sänger beschieden, als es um die Teilnahme an einem renommierten Chortreffen ging. Die sind froh, dass sie Hajek haben. Ihr Partnerchor in der Pfalz löste sich auf, als der alte Chorleiter starb. Borussia, mit seiner gut 100 Jahre alten Fahne und den leider auch schon wieder 25 Jahre alten Anzügen, dagegen schaut aufs 150. Und die Katze will jetzt raus.

Die Gründungsurkunde des Vereins
Die Gründungsurkunde des Vereins
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