Wittenberg Wittenberg: Geliebte Exoten
WITTENBERG/MZ. - Kaum etwas ist so mächtig wie Kindheitserinnerungen. Einmal brachte ihnen Julius Riemer eine präparierte Eule mit. Sie war elf, erinnert sich Renate Gruber-Lieblich, und bei den Jungen Naturforschern. "Für uns war der Riemer so etwas wie der liebe Gott." Generationen von Wittenbergern sind aufgewachsen mit den Schätzen des leidenschaftlichen Weltensammlers (1880 bis 1958), haben etwas gelernt über fremde Menschen, fremde Tiere und sich manchmal vielleicht auch etwas gegruselt angesichts des einen oder anderen Schrumpfkopfes.
"Wir wollen unser Museum behalten", sagt Rentnerin Gruber-Lieblich. Und sie ist nicht allein. Um die 20 Köpfe zählt gegenwärtig die "Bürgerinitiative", die sich neuerdings rund um die Hobby-Historikerin versammelt hat. Ob es eine BI bleibt, ob es ein Förderverein wird, das sei gegenwärtig noch nicht absehbar: "Wir wollen nicht in Konfrontation mit dem Rathaus gehen", erklärt Gruber-Lieblich vorsichtshalber. Genau danach aber sieht es aus.
Zwischen Zeughaus (saniert, aber leer) und Schloss (voll, aber unsaniert) rangeln Riemer-Verehrer und Stadtverwaltung um die Deutungshoheit ihrer jeweils guten Absichten in der Öffentlichkeit. "Unsere Forderung lautet, dass das Zeughaus ein eigenständiges natur- und völkerkundliches Museum ,Julius Riemer' wird", sagt Gruber-Lieblich, getrennt von den "Städtischen Sammlungen" und mit einem "wissenschaftlichen Leiter" an der Spitze. Die Stadt hat mit ihrem im Herbst fertig gestellten und seither zumeist verwaisten Objekt zur Internationalen Bauausstellung IBA auf dem Arsenalplatz bekanntlich andere Pläne. Im Wittenberger Zeughaus-Museum soll die ganze Stadtgeschichte zur Geltung kommen, Julius Riemer spielte dort nur eine Rolle, als herausragende Persönlichkeit der Lutherstadt neben anderen. Dies wäre eine Vertragsverletzung der Stadt im Umgang mit der Sammlung, kritisieren die Freunde des alten Riemer-Museums im Schloss.
Das mag man sich im Rathaus nicht vorwerfen lassen. "Die Verträge zwischen der Lutherstadt Wittenberg und Julius Riemer / Charlotte Riemer aus den Jahren 1953 und 1993 werden erfüllt... Die beiden Sammlungen von Julius Riemer, die naturkundliche und die völkerkundliche, ... werden erhalten und der Öffentlichkeit präsentiert", heißt es in einem aktuellen Schreiben von Oberbürgermeister Eckhard Naumann (SPD) an die Stadträte, das der MZ vorliegt. Naumann verweist darin auf den hochkarätig besetzten wissenschaftlichen Museums-Beirat und auch darauf, dass "vor wenigen Tagen" die promovierte Historikerin Beate Kusche von der Universität Leipzig "mit der Ausarbeitung eines Ausstellungskonzeptes für das Artilleriewagenhaus (Zeughaus) begonnen" habe.
Erstmals taucht in dem Naumann-Schreiben vom 7. April der Vorschlag eines "begehbaren Depots" auf, in dem die Riemersche Sammlung öffentlich dauerzugänglich wäre. Als vorgesehenen Standort nannte der Oberbürgermeister am Donnerstag auf Anfrage die frühere Desinfektionsanstalt an der Pfaffengasse in unmittelbarer Nähe des Arsenalplatzes, wo zur Zeit unter anderem die Verbraucherzentrale ihr Büro hat. Dort, so Naumann, ließe sich Riemer "an herausragender Stelle präsentieren", nicht mit allen Exponaten, "sondern mit den herausragenden".
"Wir wollen den Vertrag erfüllen", unterstrich der Oberbürgermeister im MZ-Gespräch. Gleichzeitig verteidigte er die "Grundidee" des Zeughauses ("moderne Präsentation von Stadtgeschichte"), das ein "Wegweiser" sein soll in die anderen Schatzhäuser wie beispielsweise dem Ratsarchiv, das in der Juristenstraße einziehen soll, oder eben dem geplanten "Schaudepot" an der Pfaffengasse.
Zurückhaltend sieht BI-Sprecherin Gruber-Lieblich den neuen Depot-Plan. Für Freitagnachmittag hat man sich Vertreter aller Stadtratsfraktionen eingeladen. Ein "Drei-Punkte-Programm" soll vorgestellt und diskutiert werden. Noch sei es geheim.