Wittenberg Wittenberg: Architektur-Debatte wird weitergeführt
wittenberg/MZ - Die Stühle reichen nicht, immer neue werden herangeschleppt. Die Frage, wie unsere kleine Stadt aussehen soll und wer das bestimmen darf, bewegt die Gemüter. Die Cranach-Stiftung hat in den Malsaal eingeladen, um die Neue Wittenberger Architekturdebatte fortzuführen. „Wir haben uns selber ermächtigt“, konstatiert Friedrich Schorlemmer, der Auslöser, jetzt Moderator, mit Blick über die Menge. Ermächtigt, jawoll! Doch falsch liegt, wer Krawall erwartet. Krawall war gestern.
„Wittenberger Stadträume. Funktionen und Wahrnehmungen“ heißt der „Essay“, den die Kunsthistorikerin und Stadtforscherin Christiane Hennen fürs - überwiegende - Laienpublikum vorbereitet hat. Ihr Ansatz, sich nicht an einzelnen Bauwerken abzuarbeiten, sondern das große Ganze, den „Stadtorganismus “ in den Blick zu nehmen, legt den Grundstein für eine sachliche Herangehensweise. Welche Funktion hat ein Marktplatz, früher und heute? Was passiert mit diesem „Vorraum“, wenn das Rathaus wegzieht? Lässt sich die über 250 Jahre verschüttete Nord-Süd-Achse (Arsenalplatz mit Besuchereinrichtungen, „Arsenal“) stärken, ohne die traditionelle Ost-West-Achse der Altstadt, also Collegien- und Schloss-Straße, zu schwächen?
Je intensiver ein Ort politisch, kommerziell oder kulturell genutzt worden ist, desto stärker sei bis heute die Identifikation mit ihm, desto höher sein „Identifikationswert“, sagt Hennen. Deshalb wiege ein Holzmarkt geringer als ein Markt, deshalb werde die einst zentrale Elbstraße (Stadttor!) heute als Nebensträßchen wahrgenommen, deshalb müsse für den langjährigen „Un-Ort“ Arsenalplatz eine „Neudefinition“ überhaupt erst noch gefunden werden. Hennen findet nicht, dass die Berücksichtigung der überkommenen Funktionen einer über viele Jahrhunderte im Grundriss nicht veränderten Wittenberger Altstadt in den zurückliegenden 20 Jahren gelungen sei. „Verunklärung“ nennt sie dieses vermeintliche Ausblenden von Bedeutungszusammenhängen - und sieht den vielleicht größten Sündenfall in diesem Bereich erst noch kommen: Eindringlich warnt sie vor einer Entwertung des Schlossplatzes, sollten Besucher in Zukunft tatsächlich nicht mehr von dort sondern über den Schlosshof und das neue Besucherzentrum in die Kirche geführt werden.
Volle Herzen
Das Publikum bewegt dies ein bisschen und noch das eine oder andere mehr. Für Schorlemmer ist es der veränderungsgefährdete Lutherhof, für einen älteren Mann das leerstehende Melanchthon-Gymnasium (das freilich Sache des Landkreises ist und der hat kein Geld). Man müsse auch an die Zeit nach 2017 denken, verlangt jemand, und dürfe nicht alles Baugeschehen partout auf Tourismus bürsten. Zustimmendes Murmeln.
Auch die Stadtspitze ist vertreten, der Oberbürgermeister („Die Stadt ist nie fertig“), der Bürgermeister, der oberste Stadtentwickler, der Vorsitzende des Bauausschusses. Man habe die vergangenen 20 Jahre nicht geschlafen, verteidigt dessen Vorsitzender Joachim Richter (CDU) die Mühen der Ebene im Ausschuss und rät den Bürgern einmal mehr, doch zu den Sitzungen vorbeizuschauen.
Öffentliche Bauherren
Die Bürger aber wollen nicht nur schauen, sie wollen mitreden. „Demokratie heißt Einfluss nehmen“, wirbt Schorlemmer. Hennen sagt, sie „fände es sehr schön, wenn Bauherren früher an die Öffentlichkeit gingen“. Dafür gibt es Szenenapplaus. Und ein Bauherr will das jetzt auch tun: In Kürze werde die Stiftung Luthergedenkstätten zu einer Informationsveranstaltung einladen, kündigte ihr Direktor Stefan Rhein an. Gemeinsam mit Schorlemmer, wie es hieß.