Wirtschaft Wirtschaft : Wie es um die Zukunft des Wittenberger Wochenmarktes steht

Wittenberg - Rot steht für tot, gelb für Geschäftsaufgabe. Immer mehr rote und gelbe Striche weist die Liste potenzieller Händler auf, auf deren Grundlage Harald Herget den Wochenmarkt bestückt. Insofern trifft die Diagnose, die kürzlich auf einer Fachtagung in Hannover den Märkten in Deutschland gestellt wurde und umgehend zu „Sterbe“-Schlagzeilen führte, auch auf Wittenberg zu. Dies, sagt Marktleiter Herget, sei allerdings schon seit Jahren so.
Die demographische Entwicklung geht am Markt nicht vorbei und mit den Händlern altern die Kunden. Dabei, das möchte Herget dann doch betonen, gehe es dem Wittenberger Markt vergleichsweise gut. „Wittenberg funktioniert“ noch am besten im „Umkreis von 100 Kilometern“, sagt er, dank der vielen und nahen Dörfer drumherum und dank des Branchenmixes im Angebot auf dem Arsenalplatz.
Anders als viele andere Kommunen betreibt die Stadt Wittenberg den Wochenmarkt nicht selbst sondern schreibt den Handel unter freiem Himmel aus. Über Jahre organisierte ihn die Wittenberger Veranstaltungs GmbH, an der der aktuelle Marktleiter Harald Herget bereits beteiligt war. Herget, inzwischen mit 69 Jahren formal auch bereits Rentner, führt den neuen Marktbetreiber „Herget’s Wittenberger Veranstaltungs GmbH“ mit seiner Tochter Mareike, die ebenfalls als Geschäftsführerin firmiert. Die 41-Jährige ist gelernte Schneiderin und selbst mit einem Kurzwarenstand auf dem Markt vertreten. In absehbarer Zeit wird es zu einer Nachfolge kommen.
Ausgeschrieben wird der Wochenmarkt befristet, laut Stadt setzten sich die Hergets 2015 gegen drei andere Bewerber durch und dürfen den Markt nun bis zunächst Ende 2018 betreiben. Die Stadt kassiert vom Betreiber Sondernutzungsgebühren, laut Stadt-Sprecherin Karina Austermann sind dies 25 Cent pro Tag und Quadratmeter, bei einer zugrundegelegten Fläche von 553 Quadratmetern. Hinzu kommen für den Betreiber und damit letztlich für die Händler Stromkosten und weitere Ausgaben, etwa für Toiletten, Reinigung, Winterdienst. Etwa 60 Händler, im Winter weniger, bieten laut Harald Herget auf dem Wochenmarkt ihre Waren feil, jeden Mittwoch zwischen 8 und 16 Uhr auf dem Arsenalplatz, auch das ist vertraglich mit der Stadt geregelt.
Keine Mehrheit findet einer kleinen MZ-Umfrage zufolge die Idee, den Markt - zusätzlich oder nur - samstags stattfinden zu lassen. Damit verzichtet man freilich auch auf die Jungen. (mz/irs)
Dafür ist er zuständig, Marktleiter seit vielen Jahren, früher mit einem Kompagnon, heute mit seiner Tochter Mareike. Nur jeweils drei Anbieter derselben Ware, sagt Herget, das sei so eine Stellschraube, mit er das gemeinsame Auskommen regele. Freilich hat der Markt auch in der Lutherstadt natürliche Feinde, Herget nennt „die Discounter“, andere das Internet - und dass der Markttag vorrangig eine Angelegenheit älterer Leutchen ist, das sieht man nun in Wittenberg auf den ersten Blick.
Dass andere wie etwa die Stadt ihre Veranstaltungen extra auf den Markttag Mittwoch legen, weil dann besonders viele Menschen im Städtchen sind, dass der Markt, wie Herget nicht nur behauptet, auch eine „soziale Funktion“ hat, kann - fürs Geschäft - freilich nur ein schwacher Trost sein. Denn davon wird man nicht satt.
Er sei nur hier, weil er muss, knurrt der Bücher-Händler aus Reuden bei Zerbst, seine Rente reiche nämlich nicht. Die Rentner(innen) stöbern freilich ganz gern am Tisch bei Harald Strömer, wo es Gebraucht-Bücher für ein, zwei Euro gibt und Liebesromane gleich im XXL-Pack dito.
„Als normaler Selbständiger könnten Sie davon nicht leben“, richtet Strömer seinen Vorwurf an wen auch immer. Die ältere Dame lässt sich nicht abschrecken. Ja, der Preis sei sehr attraktiv. Heute nimmt sie aber trotzdem nichts mit - Klönschnack mit Freunden und früheren Kollegen, ein Wochenmarkt-Ritual für sie, und dann wieder ab nach Hause.
Der Eindruck, dass bei den Lebensmitteln deutlich mehr Andrang herrscht als etwa bei Miederhose, Fahrradgurt und Emaillebecher, täuscht nicht. „Wir können nicht klagen“, sagt Verkäuferin Andrea Bäckta von der Fischräucherei Suhr. Seit 15 Jahren bietet sie auf dem Wittenberger Wochenmarkt Fisch an. Kundensterben? Ach nein, sagt Bäckta, es kämen doch neue nach... Und gegessen wird immer.
Auch bei „Puten-Paul“ nebenan, wo Stadt-Sprecherin Karina Austermann gerade ein Bratenstück erstehen will, hier, weil sie neben der „Qualität des Angebots“ auch den „Charme des Marktes“ schätze, wie sie sagt. Während „Straußen-Claus“ alias Michael Schütze den Charme des Marktes durchaus für ausbaufähig hält und dafür auch die eine oder andere Idee hätte - nämlich mehr regionale Produkte und Anbieter wie, ja tatsächlich anno 2016, Schmiede und Schäfer, seufzt Wolfgang Reupsch: „Ich glaube, es hat keine Zukunft mehr.“
Und wenn doch, dann eine grüne, also Lebensmittel. Reupschs Angebot ist leider nicht grün. Die Reupschs aus Coswig, exakt: aus Buro verkaufen seit 25 Jahren Unterwäsche und Miederwaren in Wittenberg, ein „Zubrot“, sagt der Rentner, „die Umsätze sind rapide zurückgegangen.“ Seine Frau Bärbel berät derweil eine Kundin in Sachen Miederhose. „Sieben Euro“ soll das fleischfarbene Teil kosten. Die Frau legt die Miederhose rasch zurück. (mz)