Weihnachten in Deutschland Weihnachten in Deutschland: Wie feiert Erna Nepka aus Kasachstan?

Wittenberg - Als sie nach Deutschland kam, ist Erna Nepke oft spazieren gegangen. Durch die Wälder nahe des Aufnahmelagers in Lubast, durch die Straßen des Ortes – und immer wieder kreisten ihre Gedanken dabei um ein und dieselbe Frage: „Ist das jetzt meine Heimat?“. 22 Jahre ist das mittlerweile her. Längst sagt die heute 68-jährige in Kasachstan aufgewachsene Russlanddeutsche: „Ich bin hier angekommen.“
Geholfen hat ihr dabei, dass in ihrer Familie immer Deutsch gesprochen wurde. „Ein altes Deutsch“, wie sie lächelnd gesteht. „Meine Lehrerin hat manchmal über meine Ausdrücke gelächelt“, erinnert sie sich an ihren Deutschkurs kurz nach der Ankunft in der Bundesrepublik 1996. Heute erinnert allenfalls eine weiche Sprachmelodie an ihre Herkunft.
Mit Energie und Enthusiasmus hatte sie sich daran gemacht, die altvertraute Sprache neu zu lernen. Deshalb war die gelernte Buchhalterin schon nach kurzer Zeit im Aufnahmelager als Dolmetscherin gefragt. Die alleinerziehende Mutter zweier Söhne hat vielen Menschen geholfen, ebenfalls heimisch zu werden, hat sie bei Behördengängen unterstützt, beim Ausfüllen von Formularen.
Und das tut sie bis heute. Denn auch nach ihrer Pensionierung hilft Erna Nepke Neuankömmlingen – aus der Ukraine, aus Rumänien oder Griechenland. Seit fünf Jahren engagiert sich die Frau mit dem hellgrau leuchtenden Lockenschopf im Wittenberger Mehrgenerationenhaus, rät den Zugereisten offen auf andere zuzugehen, selbst den ersten Schritt zu tun.
Das sei gar nicht so schwierig, findet sie. Derzeit werden im Mehrgenerationenhaus mit einem bunt gemischten Chor internationale Weihnachtslieder geprobt, am Freitag vor dem ersten Advent stand Plätzchen backen mit Kindern aus der Kita „Borstel“ auf dem Programm.
Auch in Kasachstan habe die Familie immer Weihnachten gefeiert. „An Heiligabend kam dort allerdings das Christkind, nicht der Weihnachtsmann – und den unartigen Kindern habe man nicht mit Knecht Ruprecht, sondern mit dem Pelzmann gedroht“, erzählt Erna Nepke. Einen richtigen Weihnachtsbaum habe es damals aber zu Hause nicht gegeben.
„In der kasachischen Steppe wächst so etwas nicht.“ Im Kulturhaus habe aber meist ein aus Sibirien stammender Baum gestanden. „Und wenn man einen kleinen Zweig von dieser Tanne mit nach Hause nehmen konnte, war man glücklich.“
Etwas Wehmut, liegt in ihrer Stimme, wenn sie an ihre Kindheit in Kasachstan denkt, an die harten kalten Winter, in denen sie und ihre Geschwister trotzdem immer draußen gespielt haben. Wenn sie Zugvögel sehe, gesteht sie, dann denke sie manchmal noch: „Nehmt mich mit.“ Denn eigentlich hat Erna Nepke zwei Heimaten.
Doch sie erinnert sich auch daran, dass sie als Deutschstämmige in Kasachstan nicht gern gesehen war. „Ändere doch endlich deinen Vornamen“, habe eine Arbeitskollegin ihr einmal geraten, „sonst merkt doch gleich jeder, wo du herkommst.“ Viele hätten das getan, doch Erna blieb Erna – aber sie blieb nicht.
Lange habe sie mit sich gerungen und dann doch einen Antrag auf Ausreise gestellt. Bis zur Genehmigung vergingen fünf lange Jahre. Dann begann in Deutschland ein neues Leben. „Eines, für das ich dankbar bin“, unterstreicht sie. „Ich habe hier viele Freunde gewonnen.“ Zugereiste gehörten ebenso dazu wie Einheimische. „Man wird verstanden und versteht andere.“ Das und ihre Familie haben Deutschland für sie zur Heimat werden lassen.
Zum Weihnachtsfest wird die ganze Familie sich bei ihr unterm Weihnachtsbaum versammeln. Die beiden inzwischen verheirateten Söhne mit ihren Frauen – und die drei Enkelkinder. „Die Familie wird größer“, freut sich Erna Nepke – das vierte Enkelkind sei unterwegs.