1. MZ.de
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Wittenberg
  6. >
  7. Was einst die Gemüter bewegte: Vor hundert Jahren: Großes Kino in Wittenberg

Was einst die Gemüter bewegte Vor hundert Jahren: Großes Kino in Wittenberg

Zeitung vermeldet Eröffnung der „Casino-Lichtspiele“. Als erster Film läuft „Peter der Große“. Auch das Thema Vergabe spielt damals in der Stadt eine Rolle.

Von Karina Blüthgen 23.04.2024, 12:12
Eine Postkarte von vor etwa hundert Jahren. Sie  zeigt das ehemalige Forsthaus Fleischerwerder, heute zu Dabrun gehörig, damals städtisches Forstrevier von Wittenberg und ein beliebtes Ausflugsziel. Eine dortige Reiherkolonie war als Naturdenkmal geschützt.
Eine Postkarte von vor etwa hundert Jahren. Sie zeigt das ehemalige Forsthaus Fleischerwerder, heute zu Dabrun gehörig, damals städtisches Forstrevier von Wittenberg und ein beliebtes Ausflugsziel. Eine dortige Reiherkolonie war als Naturdenkmal geschützt. (Repro: Karina Blüthgen)

Wittenberg/MZ. - Kommunale Handwerksleistungen ausführen zu dürfen, das war und ist ein begehrtes Objekt. Das Thema Vergabe wurde vor hundert Jahren schon heiß diskutiert.

So berichtete das Wittenberger Tageblatt am 2. April 1924 von der Sitzung der Stadtverordneten: „Die Schmiede-, Rademacher- und Stellmacher-Innung hatte ein Schreiben an den Magistrat gerichtet, worin Beschwerde geführt wird betr. Vergebung von städtischen Arbeiten nach auswärts auf Grund einer Ausschreibung. Stadtbaurat Petry teilt mit, daß die auswärtigen Firmen um die Hälfte billiger lieferten und stellt den Wittenberger Handwerksmeistern anheim, einmal mit ihren Preisen herunterzugehen.“

Innungen seit 500 Jahren

Doch im Handwerk gab es nicht nur Grund zur Klage, sondern auch zum Feiern. „500 Jahre bestehen jetzt vier hiesige Innungen“, so die Wittenberger Zeitung am 5. April. „Und zwar die Innung der Gewandmacher (Schneider, Tuchmacher), der Bäcker, der Fleischer und der Schuhmacher. Am 3. April 1424 erhielten die verschiedenen Innungen ihre Artikel von dem damaligen Kurfürsten.“ Die Bäcker-Innung feierte am 27. April ihr langes Bestehen, verbunden mit dem hundertjährigen Fahnen-Jubiläum und der Weihe einer neuen Fahne.

Der Verein für Gesundheitspflege und Naturheilkunde feierte „am gleichen Ort, wo er vor 25 Jahren begründet wurde, in Muths Festsaal“, sein 25. Stiftungsfest, berichtete das Tageblatt am 8. April sehr ausführlich. Der Vereinsvorsitzende, Lehrer Thielecke, betonte in seinem Vortrag die Bedeutung „von Licht, Luft, Wasser, Bewegung, Ruhe, eine vernünftige Ernährung und Kleidung, die Rückkehr zur naturgemäßen Lebensweise. Diesem Zwecke dienen auch die vom Verein geschaffenen Familiengärten.“

Die Eröffnung der „Casino-Lichtspiele“ in Wittenberg vermeldete das Tageblatt am 10. April. Im ehemaligen Offizierskasino, Schlossplatz 5, war das neue Unternehmen erstmals für das Publikum zugänglich. Gezeigt wurde der historische Film „Peter der Große“. Über die Umgestaltung hieß es in dem Artikel, dass die „säulentragende Vorhalle im Erdgeschoß zu einem anheimelnden Empfangsraum umgeschaffen“ wurde. Das eigentliche Lichtspieltheater hatte im ehemaligen großen Kasinosaal Platz gefunden.

Naturschutzgesetz erarbeitet

Dass für Preußen ein Naturschutzgesetz erarbeitet wurde, interessierte im April auch die Wittenberger. „Auch bei Wittenberg befindet sich ein Naturschutzdenkmal: die Reiherkolonie beim Fleischerwerder, bekanntlich zu dem städtischen Gute gehörig“, führte die Zeitung am 11. April aus. Und zählte weiter den unter Schutz stehenden Biber bei Seegrehna auf, gab zudem die Anregung wieder, den Apollensberg unter Schutz zu stellen. Auch der südliche Stadtgraben mit seinen wilden Enten sei geeignet und dürfte deshalb nicht zugeschüttet werden.

Der Sport machte ebenfalls von sich reden. Wie die Zeitung am 20. April schrieb, fand zwei Tage zuvor im „Schlossgarten“ die Gründung einer Schiedsrichter-Vereinigung von Wittenberg und Umgebung statt. „Schiedsrichterfragen wurden durch gegenseitigen Meinungsaustausch unter Zugrundelegung der amtlichen Entscheidungen beantwortet und dürfte jeder der Gründer um ein beträchtliches an Erfahrung reicher die Versammlung verlassen haben.“

„Ein lebhaftes Interesse macht sich z.Zt. in industriellen Kreisen bemerkbar, um in der Nähe unserer Stadt Fabrikanlagen zu schaffen“, hieß es am 5. April in der Zeitung aus Gräfenhainichen. „Wie wir hören, schweben Verhandlungen, die dahin gehen, die Fabrikgrundstücke der Maizena A.-G., die ihren Betrieb hier einstellt und nach Barby verlegt, an ein großes industrielles Unternehmen zu verkaufen. Auch an die Kirchengemeinde ist eine Metallwarenfabrik herangetreten, um jenseits des Bahnhofes Areal zu erstehen zur Errichtung einer größeren Fabrikanlage.“

Mit dem Bau eines Denkmals für die Gefallenen des Weltkriegs war man in Zschornewitz ein großes Stück weiter gekommen. Es werde „in diesen Tagen mit der Bepflanzung der Stätte begonnen“, schrieb das Tageblatt am 5. April. „In sinnvoller Weise ist geplant, jedem Gefallenen eine Eiche zu setzen, die den Namen des Helden verewigt. Diese Eichen umgeben das eigentliche Denkmal. Ein einfach ausgeschmückter Block ruht auf einem treppenartigen Fundament und trägt als Abschluß ein Kreuz.“ Auf einer Marmorplatte an der Vorderseite werden die Namen angebracht.

Aus Oranienbaum vermeldete das Tageblatt am 8. April: „Bei der Feier des 25jährigen Dienstjubiläum des Bürgermeister Knabe überreichte Stadtverordnetenvorsteher Urban im Auftrage des Gemeinderats eine Stiftungsurkunde über 2.000 Goldmark unter dem Namen Ludwig-Knabe-Stiftung, deren Verwendung dem freien Ermessen des Jubilars überlassen wird. - Stadtverordneter Burckhardt gab einen Ueberblick über das, was der ratlos fleißige Bürgermeister alles für seine Stadt getan hat.“

In Rotta feierte am 6. April der Tischlermeister Jacobi mit seiner Ehefrau und einer großen Zahl an Verwandten und Bekannten die goldene Hochzeit. „Gleichzeitig konnte Herr Jacobi als Tischlermeister sein 50jähriges Jubiläum feiern“, so die Zeitung zwei Tage darauf. „Aus diesem Anlaß ließ die Tischler-Innung in früher Morgenstunde dem Jubelpaare ein Musikständchen bringen. Der Jungfrauen-Verein brachte am Vorabend ein Gesangsständchen.“

Erstmals Jugendweihe

Unter der Spitzmarke „Anleihen bei der Kirche“ in der Zeitung vom 8. April hieß es noch, dass die Kirche den Freidenkern zwar das größte Übel sei, diese aber dennoch aus dem Reichtum des kirchlichen Lebens schöpfe. „Nachdem man an Stelle der Konfirmation ihre äußerliche Nachahmung, die Jugendweihe eingeführt hat, ist man in diesem Jahre auch dazu übergegangen, anstelle von Konfirmationsscheinen Gedenkblätter zur Jugendweihe feierlichst zu überreichen.“ 1920 wurde für Kleinwittenberg erstmals eine Jugendweihe, veranstaltet vom „Verein der Freireligiösen Wittenberg und Umgegend“, in den hiesigen Tageszeitungen erwähnt.