Vom Lokschuppen zur Fahrzeugreinigung
WITTENBERG/MZ. - Moderne, mehrstöckige Regionalbahnen und weiße, aerodynamische ICE prägen das heutige Bild der Wittenberger Eisenbahnlandschaft. Wie jedoch der von Dampfloks bestimmte Bahnbetrieb in der Lutherstadt vor noch nicht einmal 170 Jahren aussah und sich seitdem entwickelt hat, das nimmt Klaus-Dieter George, früher Vorsteher des Bahnbetriebswerks, genauer unter die Lupe: Jetzt erschienen ist sein Buch "Das Bahnbetriebswerk Lutherstadt Wittenberg" im Verlag Dirk Endisch.
Begonnen hatte alles im 19. Jahrhundert: Die Berlin-Anhaltische Eisenbahn, eines der ältesten Eisenbahnunternehmen Deutschlands, nahm im Jahre 1841 ihren ersten Lokschuppen und ein Gleisdreieck zum Drehen der Wagen in Betrieb. Das Besondere an der weiteren Entwicklung, so verrät George gleich im Vorwort: "Es kommt nicht so oft vor, dass vom Militär bestimmt wird, wie eine Strecke trassiert und wo letztendlich der Bahnhof mit seinen gesamten Nebeneinrichtungen entstehen darf", heißt es dort. Folglich bestimme die Lage des Bahnhofs auch die des Bahnbetriebswerks selbst.
Ebenfalls großen Einfluss bei der Weiterentwicklung des Betriebswerkes hatten die Wagen selbst: Da sie immer größer, leistungsfähiger und auch zahlreicher wurden, mussten sich auch die Werke daran anpassen. So entstand beispielsweise mit der Eröffnung der Strecke Falkenberg / Elster - Wittenberg im Jahr 1875 eine neue Lokomotivstation und die Lutherstadt entwickelte sich mehr und mehr zu einem ausgesprochen wichtigen Eisenbahnknoten.
Auch wenn der Güterzugverkehr seit jeher den Großteil des Aufkommens am Bahnbetriebswerk einnahm, rollten ab den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts vermehrt Personenzüge. Nach dem Zweiten Weltkrieg fuhren die ersten Dieselloks der Baureihe V 200, Ende der 70er Jahre Elektroloks (Baureihe 242) durch Wittenberg. Heute - nach dem Verfall der Güterzugleistungen und bedingt durch Personalabbau - ist es der Förderverein Berlin-Anhaltische Eisenbahn e. V. unter Leitung von Michael Jungfer, der sich um die Instandhaltung historischer Lokomotiven des Bahnbetriebswerkes bemüht.
Wo früher das Bahnbetriebswerk seinen Sitz hatte, befindet sich schließlich eine Außenstelle der Fahrzeugreinigung. Zahlreiche Fotografien - leider auch aus den vergangen Jahrzehnten nur in schwarzweiß - ergänzen die historischen Schilderungen Georges: Angefangen vom Wittenberger Bahnhof mit gut erkennbarem Güterschuppen Anfang des 20. Jahrhunderts, über Aufnahmen von Nebenbahnen nach Straach oder auf der Strecke Torgau - Pretzsch, bis hin zu Dampflok-Atmosphäre Ende der 70er Jahre und den heute häufig zu sehenden Dieselloks der Deutschen Bahn.
Besonders hilfreich sind Zeichnungen von Dominik Stroner, die das Bahnbetriebswerk - und somit auch dessen Um- und Ausbau - in den Jahren 1841, 1938 und 1943 zeigen. Einen authentischen Einblick in den Alltag des Wittenberger Bahnwesens liefern Reproduktionen der handgeschriebenen Fahrpläne beispielsweise für den Winter 1977 / 78 oder aus den Jahren 1984 / 85.
Eisenbahnbegeisterte dürften sich auch über präzise Tabellen freuen, die nicht nur die Streckeneröffnungen in den Anfangsjahren des Bahnbetriebswerkes auflisten, sondern auch detaillierte Auskünfte über den Fahrzeugbestand und die jeweiligen Baureihen der Loks geben.
Klaus-Dieter George: Das Bahnbetriebswerk Lutherstadt Wittenberg. Verlag Dirk Endisch. 144 Seiten mit 82 Tabellen, drei Zeichnungen und 108 Abbildungen. ISBN 978-3-936893-42-7. 26 Euro.