So weit die Füße tragen
Wittenberg/MZ/cni. - Nun, im Angesicht der Thesentür, geraten die Strapazen der vergangenen Wochen in Vergessenheit. Martin und mit ihm eine Gruppe von Frauen und Männern aus den Gemeinden Zarpen, Klein Wesenberg und Hamberge sind am Ziel ihrer Pilgerreise angekommen: in der Stadt Martin Luthers. Reichlich 1 300 Kilometer haben sie je nach persönlicher Vorliebe entweder zu Fuß oder mit dem Fahrrad auf den Spuren des Reformators zurückgelegt, seit sie am 16. Juli bei Lübeck gestartet sind (die Mitteldeutsche Zeitung berichtete). Ihr Weg führte sie unter anderem durch Worms und Eisenach. Jetzt ist es Sonnabendmittag, und gleich werden sie ihre Thesen an einem Brett vor der Schlosskirche anschlagen. Der letzte Mensch, der medienwirksam ein Papier dort präsentierte, war im Frühjahr der Amerikaner Michael Fox. Doch während der gleich die ganze evangelisch-lutherische Kirche umkrempeln wollte, suchen die Pilger aus dem Norden "nur" einen Weg aus der Finanzkrise, in der die nordelbische Kirche steckt. Darum haben sie das Projekt "Kirche aktiv" gegründet. "Wir werden keine Leistungen kürzen oder Stellen streichen, sondern zusätzliche Gelder einnehmen", erklären sie selbstbewusst auf ihrer Internet-Seite. Nicht weniger als eine Million Euro wollen sie einnehmen.
Wie viel Bares ihnen die Pilgertour in die Kassen gespült hat, darüber wird am Sonnabend nicht gesprochen. Tatsächlich von Bedeutung waren wohl primär auch die menschlichen Begegnungen, die ihnen während der 21 Tagesetappen mit Zwischenstopps in 74 Ortschaften widerfuhren. Praktisch überall, erzählt die Pastorin Martina Ulrich, sei man herzlich aufgenommen worden. Hier nahm man an Gottesdiensten teil. Dort wurde die Gruppe vom örtlichen Sportverein begleitet. Nur einmal, erinnert sich Bernd Groth, da hätte ein Passant gesagt: "Ihr nehmt euch viel zu wichtig." Geschenkt.
Derweil wird mit Heftpflaster das Thesenpapier an einer Tafel befestigt. "Die derzeitige Finanzsituation darf innerhalb der Kirche nicht zu einer Entsolidarisierung führen", heißt es etwa oder: "Kirchliche Arbeit finanzierte sich bisher fast ausschließlich aus Kirchensteuermitteln. Auch die Kirche muss in einer marktwirtschaftlich- und profitorientierten Zeit darüber nachdenken, welche anderen Finanzierungsquellen erschlossen werden können." Apropos Einnahmen: Angeblich wollte "Kirche aktiv" die Touretappen beim Internetauktionshaus Ebay versteigern. Groth zufolge wird nun sogar darüber nachgedacht, die Schuhe von Extremläufer Martin gewinnbringend unter den Hammer zu bringen. Vielleicht klappt's ja. Brauchen wird er sie für die Rückreise jedenfalls nicht. Die erfolgt bequem auf vier Rädern.