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Serie Schlosskirche  Serie Schlosskirche : Illusion von Stoff und Wärme mit kunstvoller Malerei

Von Karina Blüthgen 22.06.2016, 15:24
In alter Pracht: unten die gemalten Vorhänge, am Rand der Empore die Wappen der Unterstützer.
In alter Pracht: unten die gemalten Vorhänge, am Rand der Empore die Wappen der Unterstützer. Klitzsch

Wittenberg - Auf den ersten Blick ist die Illusion gelungen. Der Besucher der Wittenberger Schlosskirche glaubt tatsächlich, Vorhänge an den Innenwänden zu sehen. Weich fällt der etwa zwei Meter hohe Stoff in Falten, zieren Fransen den unteren Saum. Das alles gibt der Kirche eine ungeahnte Wärme. Doch selbst bei starkem Luftzug bewegt sich hier keine Faser, alles ist nur gemalt. „Das ist das Schönste. Wenn man hineinkommt, glaubt man wirklich, dass da Vorhänge sind“, meint die Wittenbergerin Gudrun Bürger bei einer ersten Besichtigung.

Und auch andere erklärten, den Impuls gespürt zu haben, nachzusehen, was sich hinter dem Stoff befindet. Schon beim Tag des offenen Denkmals hatte das Dekor, obwohl erst große Bedenken bestanden, für Begeisterung gesorgt.

Wandvorhangmalerei nennt sich das, womit die Gestalter 1892 die Schlosskirche geschmückt haben. Damals wie heute sind Schablonen erforderlich. „Früher benutzte man Karton, der mit Schellack überzogen wurde“, erläutert Sascha Howahl die Methode der Vorfahren. „Heute wird eine Vektor-Zeichnung am Computer erstellt.“

Dieses digitale Muster wird aus einer dünnen flexiblen Plaste-Platte gefräst, die dann beliebig oft verwendet werden kann. Dennoch ist es eine immense Arbeit, was die Kollegen des Berliner Restaurators auf etwa 350 Quadratmetern innerhalb eines Jahres (mit Unterbrechungen) geleistet haben.

So eine Schablone hat die Größe von 40 mal 50 Zentimeter. Das Muster erfordert zudem, dass fünf bis sechs verschiedene Schablonen nacheinander verwendet werden, die während der Arbeit mit einem speziellen Klebeband fixiert sind. Erst wird grundiert, dann kommen die kleinen Stäbchen, danach das florale Muster, zählt Howahl auf. Dazu kommen noch etliche Freihandzeichnungen, nicht nur bei den angedeuteten Falten. Denn da sind noch etliche Epitaphe, Pfeiler, Türen, wo die Schablone nicht mehr passt, also von Hand ergänzt werden musste.

Dass diese Malerei lange nicht zu sehen war, lag an der Feuchtigkeit und den Salzen im Mauerwerk. Schon um 1900 hatte es erste Schäden gegeben, 1967 wurden auch die letzten Reste mit jenem angedeuteten Quader-Muster übermalt, das dem Betrachter der Seitenwände oben große Sandstein-Blöcke vorgaukelt. Dass sich neben Schwarzweiß-Fotos auch Farbreste der ursprünglichen Malerei erhalten haben, war ein Zufall.

Uwe Rähmer, leitender Restaurator während der Sanierung der Schlosskirche, hat im Chorraum mit einem Skalpell Details von Bordüre, Malerei und Fransenbehang freigelegt. „Im Kirchenschiff gab es bereits einen Befund neben der Thesentür. Und unter der Orgelempore hat sich ein Rest hinter einem Schaukasten erhalten“, erklärt er. So konnten die Grundfarben bestimmt werden: ein helles Grün an den Seitenwänden des Kirchenschiffes, rötliches Braun im Chorraum und Lila unter der Orgel.

Der Farbton kommt, dank vieler Tests, zwar dem Original sehr nahe. Allerdings ist nicht wie vor über 100 Jahren Warmleimfarbe verwendet worden, sondern nach einer längeren Entsalzung des Sockels und einem speziellen Putzaufbau, vor allem im Bereich des Chores, Silikatfarbe. Diese lässt immer noch etwas Feuchtigkeit hindurch und ist auch etwas robuster.

Zudem trocknet sie relativ schnell, war also am Tag darauf bereits wieder bereit für den nächsten Teil des Musters. Ein anderes Problem tauchte an den Wappen auf, die sich an der Empore befinden. Die 52 Schilde von Königen, Herzögen und Fürsten, die für Unterstützer der Reformation stehen, sind mit Leimfarben bemalt. „Bei häufigem Feuchtewechsel baut sich der Leim mit der Zeit ab. Hier lag größtenteils nur noch Pigment auf dem Stein“, erläutert Uwe Rähmer die Schwierigkeit. „Dazu kam Ruß und Staub von hundert Jahren Nutzung.“

Die Werkstatt von Restaurator Thomas Heinemann nutzte eine Auflage von Japanpapier, durch das ein spezieller Leim aufgetragen und durchgestrichen wurde. Der Effekt war, dass der Leim durch das Papier hindurch die Farbpigmente wieder befestigte, andererseits der Schmutz beim Abziehen des Papiers an diesem hängen blieb. „Das ist eine etablierte Technik, in dieser Größenordnung allerdings eine Herausforderung gewesen“, sagt Uwe Rähmer. „Vor allem ist es reversibel.“ (mz)