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Rohre aus Glasseide Rohre aus Glasseide: Alte Steinzeug-Leitungen in Wittenberg werden saniert

Von Karina Blüthgen 25.07.2017, 15:00
Christian Küper zieht mit einer speziellen Winde den Glasfaserschlauch durch den alten Kanal.
Christian Küper zieht mit einer speziellen Winde den Glasfaserschlauch durch den alten Kanal. Thomas Klitzsch

Wittenberg - Schweißgebadet kommt Christian Küper aus dem engen Regenwasserschacht in der Erich-Mühsam-Straße. Gerade hat er das Ende eines Schlauches in Empfang genommen, der 80 Meter entfernt hinabgelassen und mit einem Seil durch den Kanal gezogen worden war. Zwei Stunden später wird aus dem flexiblen Schlauch ein Rohr geworden sein, das innen eng an dem alten Steinzeugrohr anliegt und es so wieder komplett dicht macht.

Was die fünf Männer der Spezialfirma LTS aus Gnoien bei der Kanalsanierung an einem Tag schaffen, ist beeindruckend. Und liegt im Zeitplan der Gesamtmaßnahme, die ab September mit dem Straßenbau fortgesetzt wird. Christian Küper beobachtet auf dem Monitor, wie sich der Inliner mit Luft füllt. Das Bild kommt von einer Kamera vorn an der „Lichterkette“, einem über zwei Meter langen Gerät mit UV-Lampen, das bereits „eingefädelt“ ist. Was bei einem Rohrdurchmesser von 60 Zentimeter nicht schwer fällt.

Alternative zum Tiefbau

„Wir haben in Wittenberg eine ganze Reihe alte Kanäle“, sagt Hans-Joachim Herrmann, Betriebsleiter des Entwässerungsbetriebes. In der Regel halten diese 60 bis 80 Jahre, „aber sie gehen auch mal kaputt, sei es durch Materialermüdung, sei es durch Erdbewegungen“. Dann muss zumeist der Bagger anrücken, um die alten Rohre heraus zu nehmen und neue zu verlegen. Doch der Tiefbau ist eine aufwendige, teure und nicht zuletzt zeitintensive Variante, längst gibt es elegante, sparsamere Alternativen.

Bereits seit 2015 saniert der Entwässerungsbetrieb einige ausgewählte Abschnitte von Schmutz- und Regenwasserkanälen mit dem Inliner-Verfahren. Dafür muss der Kanal zuvor mit einer Kamera befahren werden, Haus- und Schachtanschlüsse werden genau vermessen. Gibt es Wurzeln oder kleinere Rohrversetzungen, werden diese abgefräst.

Für jeden Abschnitt wird der Inliner (mit Kunstharz getränkte Glasseide) auf Maß angefertigt. Dieser Schlauch wird in das Kanalrohr gelegt, mit Luft an die Wände gedrückt und durch UV-Licht ausgehärtet. Ein Fräser legt dann die Anschlüsse wieder frei. Vorteile der Inliner-Technik sind etwa 30 Prozent geringere Kosten, die Sanierung ohne Einschränkungen für die Anwohner und eine schnelleres Arbeiten.

Im traditionellen Tiefbau-Verfahren sind etwa zehn Meter am Tag zu schaffen, beim Inliner können etwa 150 Meter am Tag erreicht werden. Hier liegt der große ingenieurtechnische Aufwand vor allem im Vorfeld. KBL

Eine davon ist die sogenannte Inliner-Sanierung. „Man zieht quasi ein neues Rohr in das alte hinein“, erläutert Herrmann das Prinzip, das vor zwei Jahren in Wittenberg erstmals Verwendung fand. Benutzt wird dafür ein Schlauch aus gewebter Glasseide, welche mit Kunstharz getränkt ist. „Dieser Inliner wird nach dem Einziehen durch Luft aufgestellt und dann mit UV-Licht gehärtet“, erklärt Peter Kalisch, Abteilungsleiter Kanalnetz und Bauleiter, das weitere Vorgehen.

Die Rohrleitungen in der Erich-Mühsam-Straße sind etwa 60 Jahre alt und zumeist aus Steinzeug. Und sie liegen bei einer Tiefe von zweieinhalb bis drei Metern im Bereich des Grundwassers, was beim klassischen Tiefbau einen erheblichen Aufwand und eine Vollsperrung der Straße bedeutet hätte.

Bei der Inliner-Sanierung liegt der Aufwand vor dem eigentlichen Einbringen des Schlauches. „Wir haben im vorigen Jahr schon mit den Vorbereitungen begonnen“, zählt Kalisch Maßnahmen wie Kamerabefahrung und Ausmessen der vorhanden Anschlüsse sowie Abfräsen von Wurzeln und Kanten vor der Verlegung auf. Statik und Sand-Eintrag müssen berechnet beziehungsweise festgestellt, ein Vorflutkonzept erstellt werden.

Christian Küper bereitet das Protokoll vor, das die Firma für jeden Abschnitt anfertigt. Der 35-Jährige ist Kolonnenführer, was bedeutet, dass er drei Baustellen gleichzeitig betreut. „Ich mache die Arbeit gern, es gibt immer neue Aufgaben“, betont er. Inliner-Sanierungen macht er seit fünf Jahren, das Unternehmen ist in ganz Deutschland tätig. „Das Verfahren hat sich bewährt.“ Auch wenn er zuweilen selbst in Rohre kriechen muss, um dort verkeilte Teile herauszuholen.

Bis Montag waren die Männer von LTS noch in der Erich-Mühsam-Straße am Arbeiten. Bis dahin haben sie alle auf Maß vorgefertigten Inliner-Bahnen verarbeitet. Aufheben könnte man diese ohnehin nicht, denn jede Charge trägt ein aufgedrucktes Haltbarkeitsdatum. Das, erklärt Peter Kalisch, sei einfach darin begründet, dass das Kunstharz mit der Zeit auch von allein aushärten würde. (mz)