Reformationssommer Reformationssommer: Engel landet auf dem Schlossplatz

Wittenberg - 1920 schuf der Maler Paul Klee das Bild „Engel der Geschichte“. Später nahm der Philosoph Walter Benjamin Bezug auf diese Arbeit. Er beschrieb Klees Angelus Novus: „Seine Augen sind aufgerissen, sein Mund steht offen und seine Flügel sind aufgespannt...“ Nach seiner Lesart hatte der Engel der Geschichte sein Antlitz der Vergangenheit zugewandt.
Wohl eher in die Zukunft (sicher mit dem Wissen um das, was in der Vergangenheit war und sich in der Gegenwart zuträgt) blickt der „Engel der Kulturen“.
Er ist zwar gesichtslos, doch die aus einem Metallring ausgeschnittenen Symbole - Davidstern, Kreuz, Halbmond -, die den Engel überhaupt erst sichtbar machen, können als Verweis auf das verstanden werden, worum es einer Mitteilung zufolge geht: ein Zeichen zu setzen gegen Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit, Rechtsextremismus, Fundamentalismus und Islamophobie.
Das Kunstprojekt „Engel der Kulturen“ übersetzt den von verschiedenen Gruppen der Gesellschaft und Religionsgemeinschaften geführten Dialog „in ein klares Bild und regt zum gemeinschaftlichen Handeln an“, heißt es in einer Beschreibung. Das im Mittelpunkt stehende Zeichen, in dessen Innerem sich „unbeabsichtigt“ die Gestalt eines Engels zeigt, wird durch die Künstler in Form einer städteverbindenden Kunstaktion seit 2008 in die Öffentlichkeit gebracht. Mit einem Schneidbrenner stellen die Künstler die Bodenintarsie her, die dann dauerhaft in der jeweiligen Stadt verlegt wird.
Dabei entsteht am Ort des Geschehens die Intarsie schon für die nächste Kommune. Die Wittenberger Bodenintarsie wurde demnach in Nürnberg hergestellt. Symbolisch miteinander verbunden werden die beteiligten Städte schließlich in einer „Engel der Kulturen-Säule“, die im Jahr 2018 in Jerusalem, der „Hauptstadt der drei Weltreligionen“, aufgestellt werden soll.
Jetzt, mitten im Reformationssommer und im Programm der aktuellen Themenwoche „Eine Welt“ auf der Weltausstellung Reformation kommt das interkulturelle Kunstprojekt mit seinen Machern, den bildenden Künstlern Gregor Merten und Carmen Dietrich, auch nach Wittenberg. Am Sonntag, 6. August, erhält die Stadt Martin Luthers ihren eigenen Engel. Eingelassen wird die Bodenintarsie, die nach Auskunft von Friedrich Kramer gut 60 Zentimeter im Durchmesser misst, auf dem Schlossplatz.
Kramer ist Direktor der Evangelischen Akademie Sachsen-Anhalt. Man habe, sagt er, das Projekt, das vor Ort mit dem Organisationsverein r2017 umgesetzt wird, „maßgeblich angeschoben“. Bereits in Magdeburg habe er beim „Kirchentag auf dem Weg“ in diesem Jahr auch die Künstler kennengelernt. Kramer verweist ansonsten auf über 100 Städte in Europa, in denen bereits ein „Engel der Kulturen“ gelandet ist.
Start der Aktion in Wittenberg am Sonntag ist um 16.30 Uhr an der Stadtkirche. Kramer zufolge werden neben anderen auch Vertreter des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden erwartet. Gestaltet werde die Aktion u. a. mit Gebeten und Gesang.
Zu den auffälligen Utensilien bei der Realisierung des Kunstprojektes gehört übrigens ein 1,50 Meter großer Stahlring, welcher die Symbole der Glaubensrichtungen beinhaltet. Wie die Künstlerin Carmen Dietrich auf Nachfrage der MZ erklärt, wird damit vor Ort und unter Beteiligung der Gäste zusätzlich ein temporärer Abdruck des Motivs erzeugt.
Während der Kunstaktion wird der „Engel der Kulturen“ in Form des Rings aus Stahl, blau eingefärbtem Spezialbeton und einem Rahmen aus Aluminium in den Boden eingelassen. Laut Dietrich wird in Wittenberg auch die Bodenintarsie für die nächste Stadt entstehen.
Bei www.engel-der-kulturen.de sind ausführliche Informationen zu diesem Kunstprojekt im Internet abrufbar.
(mz)