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Reformationsfest in Wittenberg Reformationsfest in Wittenberg: Jubel! Trubel! Geistlichkeit

Von Irina Steinmann 01.11.2018, 15:13
Und das hier ist nun der allerletzte Baum des Luthergartens. Es ist eine Winterlinde, gepflanzt vom Nachwuchs des Lutherischen Weltbundes. Am Spaten: Sophie Bimmermann.
Und das hier ist nun der allerletzte Baum des Luthergartens. Es ist eine Winterlinde, gepflanzt vom Nachwuchs des Lutherischen Weltbundes. Am Spaten: Sophie Bimmermann. Thomas Klitzsch

Wittenberg - 500 Jahre sind eine lange Zeit, da kann man sich schon mal ein bisschen verspäten. Aber jetzt ist es vollbracht: Im Jahre 500 plus eins ist der Wittenberger Luthergarten komplett. In einem knapp anderthalbstündigen protestantischen Bäumchen-Wechsel-Dich-Spiel sind am frühen Nachmittag des Reformationstages 2018 die letzten zwölf der 500 Gehölze per symbolischer Pflanzung ihren jeweiligen Paten übergeben worden.

Geistliche von allen fünf Kontinenten, darunter Würdenträger aus Madagaskar und dem Irak, legten Hand an im Universitätspark am Lutherhaus, dem dritten und letzten Standort des 2009 auf der Andreasbreite begonnenen Projekts des Lutherischen Weltbundes.

Als der knapp 80-köpfige Tross mit der neuen lokalen LWB-Direktorin Inken Wöhlbrand an der Spitze in der benachbarten Collegienstraße den allerletzten Baum übergibt, eine Winterlinde in die Patenschaft des LWB-Nachwuchses, macht sich bei den Passanten Überraschung und teils wohl auch Irritation breit - wer blockiert denn hier den Fußweg? Den Weg zum Mittelaltermarkt?

Ja, Wittenberg und der Reformationstag, das ist bekanntlich eine Angelegenheit, bei der jeder Seins finden kann. Der Christ seinen Gott und das Touristenkind sein mittelalterliches Ritterschwert. In schier endloser Folge schieben sich ab dem Mittag Passanten durch die Straßen der Altstadt. Verhungern muss hier auch in diesem Jahr keiner, die Schlangen vor den Imbiss-Ständen sind freilich wieder recht beachtlich.

Umso mehr fällt auf, wo sie fehlen: vor den Kirchen etwa, und auch die einschlägigen Museen, das Lutherhaus, das Melanchthonhaus, werden nicht gerade überrannt. Das Reformationsfest findet draußen statt. Was kein evangelisches Wunder ist bei diesem Wetter. Früh aufstehen musste trotzdem, wer sich einen guten Platz sichern wollte bei den Hauptgottesdiensten.

Schon kurz vor halb zehn, eine halbe Stunde vor Gottesdienstbeginn, sind die zentralen Reihen der Stadtkirche belegt. Ähnlich sieht es, natürlich, in der Schlosskirche aus, wo die Mittelalterstände ein paar Meter Lücke für die Thesentür gelassen haben. Zwei Gottesdienste kurz hintereinander, der zweite zur Langschläferzeit 11.30 Uhr prominent besetzt mit dem Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, entzerren die Besucherströme in der Schlosskirche und verhindern so diesmal die bodenlose Enttäuschung der Gottesdienstbesucher, die vor Jahresfrist draußen vor der Tür bleiben mussten. Doch 2018 ist eben auch nicht 2017.

Aber die Stadt brummt. Sie brummt wie sonst nur zum Stadtfest und das schlägt sich auch in der Laune in der Touristen-Information nieder. Satte 1000 Besucher bis zum frühen Nachmittag allein hier in der Hauptstelle an der Schlosskirche die ebenso wie die Anlaufstelle an der Mauerstraße selbstverständlich ganztägig geöffnet hat. Gut gebucht seien auch die Stadtführungen, berichtet Leiterin Kristin Ruske, und wiewohl es durchaus noch Zimmer gebe, ist Ruske zufolge gleichwohl Positives zu berichten aus dem Unterkunftswesen: Diverse Individualtouristen würden gleich eine ganze Woche bleiben. Das habe natürlich, und Gott sei Dank!, mit dem parallel laufenden Renaissancemusikfestival zu tun, aber sicher auch mit dem Umstand, dass sich die Nord-Bundesländer nach dem Ausnahme-Jahr 2017 darauf verständigt hatten, den arbeitsfreien 31. Oktober zur Regel zu machen.

Zwar ist das in diesem Jahr eine sehr lange Brücke, die man sich bauen muss für eine Woche Urlaub, doch führt Ruske die Nachfrage auch auf eine Kampagne ihres Hauses in Norddeutschland zurück. Wer weiß, wie’s erst gekommen wäre, hätten sie die tatsächlich „Moin, moin, ihr Sünder“ genannt - haben sie aber nicht.

Einkaufen ist an diesem Reformationstag keine Sünde, jedenfalls nicht mehr oder weniger als an anderen Tagen. Die relevanten Teile des Innenstadt-Handels haben sämtlich geöffnet (Telefonläden und Apotheken eher nicht), dito das „Arsenal“, und hie und da zweigen Gläubige wie Ungläubige tatsächlich in ein Geschäft ab. Man möchte die verdutzten Gesichter der Gewerkschafter sehen, die ausgerechnet die Strahlkraft, die Sogwirkung des Wittenberger Reformationsfestes infrage gestellt hatten und die Läden geschlossen sehen wollten. Das Gericht hatte aber wie berichtet ein Einsehen und wies die Forderung zurück.

Nein, das hier sind mehr als ein paar Christen, die am Vormittag eine Kirche aufsuchen zum Gedenken an jenen Tag, als Martin Luther anno 1517 seine Thesen veröffentlichte. Die geschätzten Besucherzahlen werden auch in diesem Jahr erneut in die Zehntausende gehen.

Eine Sünde ist und bleibt in der Lutherstadt unterdessen: Falschparkerei. Auch an einem der wenigen Tage, an denen das vorhandene Parkhaus die für Autofahrer hässliche Zahl „Null“ anzeigt, kennt die Stadt keine Gnade. Hat sie nicht große Parkflächen ausgewiesen vor ihren Toren? Zahlreiche Politessen sind jedenfalls ausgeschwärmt rund ums vollbelegte Parkhaus, bei ihrer Rückkehr werden die Autofahrer aus Berlin und Bitterfeld rosa sehen, auch der Motorradfahrer, der sein Gefährt so schön ordentlich in die Reihe der Fahrräder eingestellt hat.

Im Luthergarten sind unterdessen sämtliche hierfür vorgesehenen Bäumchen mit einer Schaufel Erde und Wasser versehen worden. Weithin hallen die lautsprecherverstärkten Worte der frommen Redner. Die letzten sind jung. Die LWB-Jugend will mehr Gehör bekommen in den Gremien. Die Älteren, so „ab 50“ etwa, müssten sich bewusst sein, dass es sonst sein könnte, dass „die Kirche mit ihnen stirbt“. AEcclesia semper reformanda! (mz)

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