Neue Kameradschaft im Landkreis
Wittenberg/MZ. - Seit gut einem Jahr ist die "Kameradschaft Landkreis Wittenberg" aktiv, seit dem 31. Oktober 2005 gibt es in Wittenberg einen Laden, der die bei Rechtsradikalen beliebte Kleidungsmarke "Thor Steinar" vertreibt.
Justament seit der Gründung der Kameradschaft ist die Zahl der rechtsextremen Straftaten sprunghaft angestiegen. Waren es im ganzen Jahr 2004 insgesamt 45, zählte der Verfassungsschutz bis April 2005 bereits 24 Straftaten - ausschließlich Propaganda- und Volksverhetzungsdelikte. "Das kann auch mit dem Verbot des Thor Steinar-Labels zusammenhängen", sagt der Leiter des Dessauer Staatsschutzes, Sven Gratzik. Seit Ende 2004 das Label, das sich aus SS-Zeichen zusammensetzt, verboten worden war, reichte schon das Tragen eines Sweatshirts, um straffällig zu werden. Inzwischen hat die Marke ihr Symbol geändert, was in der Wittenberger Pfaffengasse derzeit verkauft wird, scheint legal.
Die Zählung des "Multikulturellen Zentrums" in Dessau sieht da allerdings anders aus. Anfang 2005 habe es eine kleine Serie mit drei Körperverletzungen in Wittenberg gegeben, sagt Opferberater Marco Steckel, der sich auch um die überfallenen Vietnamesen in Gräfenhainichen kümmert. "Die Opfer schätzten die Situation gefährlicher ein, seit es die Kameradschaft gibt", sagt Steckel. Inzwischen auch in Gräfenhainichen. Dorthin habe sich der Schwerpunkt der Straftaten im zweiten Halbjahr 2005 verlagert.
Offiziell waren Mitglieder der Kameradschaft da aber nicht dabei - auch die Täter aus Gräfenhainichen werden der Kameradschaft im besten Falle im Umkreis zugeordnet. "Das ist bundesweit typisch für Kameradschaften", sagt Steffen Andersch vom "Projekt gegenPart" aus Dessau. "Die Köpfe machen sich die Hände nicht schmutzig." Der Kopf im Falle der "Kameradschaft Landkreis Wittenberg" ist laut Andersch ein gewisser Henry B. Auf ihn sollen die verstärkten Aktivitäten der Rechtsradikalen seit Anfang 2005 zurückgehen.
Dem Verfassungsschutz ist B. bereits seit längerem aufgefallen. Mehrere Ermittlungsverfahren wegen Propagandadelikten hatte es bereits gegeben. Urteile auch, allerdings ausschließlich auf Bewährung. B. gelte als intelligent, "ein Vordenker ist er aber nicht", schätzt Andersch. Eigene Publikationen von ihm finden sich jedenfalls nicht im Internet, dafür ein Bild auf der Seite eines Jeßnitzer Vereins. Auch sonst ist die Kameradschaft im Internet kaum vertreten. Auf einschlägigen Seiten taucht der Name nicht auf. Laut Andersch nichts Außergewöhnliches. Eine Seite allerdings könnte der Kameradschaft zugeordnet werden. Auf der verkündet eine "Kameradschaft Elbsturm" ihr Ziel: "Kameradschaften Deutschlandweit zu vereinen und somit ein Starkes Bündnis zu erschaffen, welches gegen die Lügen, Perversionen und Inkompetenzen unseres Systems ankämpft." 13 "Kameraden aus dem Raume der Lutherstadt Wittenberg" pflegten engen Kontakt zu Kameradschaften rund um Wittenberg und Sachsen-Anhalt. Weil sie sich auch dem Kampf gegen Kinderschänder verschreiben, hält sie Andersch für relativ aktuell. "Das gibt es bei den Kameradschaften erst seit drei Jahren."
Damit scheidet die alte "Kameradschaft Elbe-Ost" als Urheber fast aus. Die hatte sich 1997 aufgelöst, nachdem ihr Anführer Chris D. und Olaf S. in Berlin erstochen worden waren. Überhaupt hat die neue mit der alten nicht mehr viel zu tun. Bis auf ein paar "Alt-Skins" sei ein Generationenwechsel eingetreten, vermeldet der Staatsschutz.
Die neue Generation kümmert sich vor allem um die Organisation von Skinhead-Konzerten und um die Teilnahme an Aufmärschen wie dem zum 60. Jahrestag der Zerstörung Magdeburgs. In Wittenberg hatten die Besucher der Wittenberger Erlebnisnacht im August 2004 die Pöbeleien an der Schlosswiese wohl der Kameradschaft zu verdanken. Zu dem Ärger war es gekommen, als die Polizei ein geplantes Skinhead-Konzert auf den Elbwiesen bei Pratau aufgelöst hatte.
Damals allerdings wusste der Staatsschutz von der neuen Kameradschaft nichts. "Aufgefallen ist sie uns erst bei einer Polizeiaktion
in Abtsdorf", sagt Gratzik. Am 23. Dezember 2004 sprengten die Beamten ein Skinhead-Konzert in der dortigen Kneipe. Und dort sah der Staatsschutz zum ersten Mal T-Shirts mit der Aufschrift "Kameradschaft LK Wittenberg". Organisator war der polizeibekannte Rechtsextremist Lars Fuhrmann aus Wittenberg, dem laut Andersch engere Kontakte zur Kameradschaft ansonsten aber schwer nachzuweisen sind. Was Gratzik besonders freut: Die Polizei hat einen Glaspokal der Kameradschaft sichergestellt. "Mein Leben für mein Land, mein Blut für meine Heimat, denk daran, deine Haut ist weiß", steht da drauf - sinnigerweise in Englisch.
Auf rund 15 bis 20 Mann wird der harte Kern der neuen Kameradschaft vom Verfassungsschutz geschätzt. "Kern und Umfeld auseinander zu halten ist allerdings schwierig", meint Andersch. Die Kameradschaft sei "eher ein loser Zusammenschluss, feste Strukturen wollen sie ja gar nicht".
Allerdings gibt es genügend Kontakte. Mit der Kameradschaft in Köthen kann Andersch sie nachweisen. Und auch mit der NPD im Landkreis scheint es Berührungspunkte zu geben. Beim Infostand auf dem Wittenberger Marktplatz am 11. September 2005 jedenfalls, soll ein Mitglied der Kameradschaft laut Andersch Ordnerfunktionen übernommen haben. Kein direkter Zusammenhang lässt sich dagegen mit dem Thor Steinar-Laden in der Wittenberger Pfaffengasse herstellen. Allerdings, sagt Andersch, sei der inzwischen "ein Stück weit zum informellen Treffpunkt" der Rechtsradikalen aus dem Landkreis geworden.
Chronik rechter Übergriffe:
www.projektgegenpart.org
Hilfe für Opfer:
www.mobile-opferberatung.de
Verfassungsschutz:
www.sachsen-anhalt.de/LPSA/index.php?id=4784