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Nationale Sonderausstellung Nationale Sonderausstellung: Rechtswissenschaftler erläutert Luthers Testament

Von Corinna Nitz 04.08.2017, 17:02
Katharina von Bora in Bronze, zu sehen auf dem Lutherhof
Katharina von Bora in Bronze, zu sehen auf dem Lutherhof Thomas Klitzsch

Wittenberg - Am Donnerstag bekam die Stiftung Luthergedenkstätten für ihre nationale Sonderschau in Wittenberg mit Martin Luthers Testament ein wichtiges Exponat nachgereicht (siehe Seite 23). In dem Dokument hatte Luther seine Frau als Alleinerbin und Vormund der gemeinsamen Kinder eingesetzt. Warum alles anders kam, wollte Corinna Nitz von dem renommierten Rechtswissenschaftler Heiner Lück aus Halle wissen.

Universitätsprofessor Dr. iur. Heiner Lück, geboren 1954 in Nauendorf, ist Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Europäische, Deutsche und Sächsische Rechtsgeschichte an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Ordentliches Mitglied der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, Korrespondierendes Mitglied der Nationalen Akademie für historisch-juristische Wissenschaften von Andalusien zu Córdoba u. a., zudem Mitglied des wissenschaftlichen Beirats zur Vorbereitung des 500. Reformationsjubiläums. Im Zusammenhang mit dem Thema hier heißt es bei Lück, Luthers „pikantes“ Verhältnis zum geltenden Recht und zu den Juristen (nach Luther seien diese „Suppenfresser“, die den Leuten das Geld aus der Tasche ziehen) sei hinreichend bekannt. „Wenn es für Luther brenzlich wurde, wusste er andererseits sofort, wo seine juristischen Beistände, nämlich in der Juristischen Fakultät Wittenberg, zu finden sind.“  

Siehe auch demnächst: H. Lück: Luthers Testamente, in: Armin Kohnle (Hg.), Luthers Tod. Ereignis und Wirkung (angekündigt für Oktober 2017).

Professor Lück, was hat Luther im Einzelnen verfügt?
Lück: Luther zählt in seinem Testament von 1542 das Gut Zölsdorf, Wohnrecht im Haus Bruno sowie Becher, Kleinodien, Ringe, Ketten, Münzen und Schulden (zirka 450 Gulden) auf. 1544 wurde das Testament vor dem Stadtrichter zu Wittenberg und durch Eintrag in das Gerichtsbuch wesentlich ergänzt mit unbeschränktem Nutzungsrecht am Haus Bruno, zwei Gärten, einer Breite und einer Hufe.

Welche (Rechts-)Stellung hatte die Frau im 16. Jahrhundert - in einer Männerwelt?
Die Frau war im 16. Jahrhundert rechtlich wesentlich schlechter gestellt als der Mann. Die konkrete Ausgestaltung der Rechtsstellung der Frau war von dem jeweils geltenden Recht, dem sie unterstand, abhängig. Es galt der aus der Kommentarliteratur zum römischen Recht stammende Grundsatz „Maior dignitas est in sexu virili“ (Die höhere Würde liegt im männlichen Geschlecht). In Deutschland galten zum Beispiel das Römische Recht in seiner verwissenschaftlichten Form des 16. Jahrhunderts, das Sächsische Recht mit dem Sachsenspiegel und dem Magdeburger Stadtrecht als hauptsächliche Quellen, das Lübecker Recht und so weiter. Frauen konnten keine Rechtsgeschäfte für sich oder andere abschließen. Auch vor Gericht konnten sie nicht selbstständig auftreten. Für sie handelte stets ein männlicher Vormund.

Wer wurde Vormund?
Das war für eine unverheiratete Frau der Vater oder ein männlicher Verwandter, für die verheiratete Frau der Ehemann, für die verwitwete Frau ein männlicher Verwandter des verstorbenen Mannes oder aus der eigenen Familie. Der Sachsenspiegel, entstanden zwischen 1220 und 1235, der auch für die Beurteilung von Luthers Testament heranzuziehen ist, sah hinsichtlich der internen Vermögensverteilung in der Ehe eine relative Gleichstellung vor. Die Frau behielt Rechte an ihrem in die Ehe eingebrachten Vermögen, konnte aber nach außen nicht darüber verfügen, es etwa verkaufen. Eine etwas freiere Stellung hatte die Frau eines Kaufmanns in Hanse- und Handelsstädten. Die Rechte der Frau im 16. Jahrhundert hingen vom konkret geltenden Recht und von den Männern als Vormünder ab.

Und die Männer konnten machen, was sie wollten?
Nein. Sie mussten in ihrer Eigenschaft als Vormund Rechenschaft darüber ablegen. Die Mündel hatten nach dem Sachsenspiegel auch ein Klagerecht gegen den unredlich handelnden Vormund. Luther schreibt in seinem Testament von den schlechten Erfahrungen mit Vormündern, daher setzt er seine Ehefrau, die Mutter der gemeinsamen Kinder, als Vormund ein. Die Reformation eröffnete zaghaft einige neue, auch rechtlich relevante, Handlungsfelder der Frau, etwa ihre Rolle im Haushalt, ihre Stellung gegenüber den Kindern. Eine besondere Profilierung erhielt die Frau im evangelischen Pfarrhaus als Ehefrau des Pfarrers.

Welche Konsequenzen hatte das im Zusammenhang mit dem Testament für Katharina? Stichwort: Kinder, Vormundschaft und Übertragung von Grundstücken?
Eine Einsetzung Katharinas als Vormund für die gemeinsamen Kinder widersprach dem geltenden (sächsischen) Recht. Die Schwierigkeiten bei der Umsetzung des Testaments nach Luthers Tod am 18. Februar 1546 waren damit vorprogrammiert. Letztlich setzte der Kurfürst durch, dass Vormünder bestellt werden. Der Kompromiss war, dass Katharina dazu Vorschläge machen konnte. Diese hatten dann dafür zu sorgen, dass Katharina in den Besitz bzw. an die Nutzungsrechte der ihr vermachten Grundstücke kam. Auch das war ohne Mitwirkung männlicher Vormünder rechtlich nicht möglich. Kritiker dieser Verfügungen Luthers trugen auch vor, dass der ehemalige Mönch und die ehemalige Nonne überhaupt keine gültige Ehe hätten schließen können. Von daher würden Luthers Argumente zugunsten seiner „Ehefrau“ und der gemeinsamen Kinder, die somit unehelich und damit rechtlos seien, nicht greifen.

Und wie war es um die wirtschaftliche Situation bestellt?
Die wirtschaftliche Situation, in der sich Katharina und die Kinder kurz nach dem Erbfall befanden, war unsicher und ungewiss.

Hätte Martin Luther das alles nicht vorhersehen müssen?
Luther hat vorhergesehen, dass sein Testament formell und materiell-rechtlich rechtswidrig ist. Ein freies Testament, das heißt, als eigenhändige Niederschrift ohne weiteres öffentliches Zutun, gab es nach dem sächsischen Recht nicht. Es galt die Reichsnotariatsordnung von 1512, welche eine Errichtung des Testaments vor einem Notar vorsah. Luther hält dem im Testamentstext entgegen, dass er selbst „Gottes Notarius“ sei und daher auf weitere Formalien verzichtet werden könne.

Das war rechtens?
Das widersprach freilich diametral der Rechtslage. Materiell-rechtlich war die Einsetzung der Ehefrau als Vormund für die Kinder nicht möglich. Dass sich Luther dieser Rechtslage bewusst war, zeigt auch sein im Testament formulierter Aufruf an den Kurfürsten und seine Mitstreiter, Katharina bei der Durchsetzung ihrer Rechte beizustehen. Er hat den ungewissen Ausgang seiner testamentarischen Verfügungen, gegebenenfalls zum Nachteil seiner Ehefrau, in Kauf genommen.

Wann hat sich die Situation für Frauen verändert?
Die rechtliche Situation der Frau hat sich nur ganz allmählich verändert. Während des 16. bis einschließlich 19. Jahrhunderts blieb die Rechtsstellung wie beschrieben, freilich mit graduellen Unterschieden örtlich und zeitlich. In der Aufklärungszeit war auch die Frau ein Individuum, für das „Menschenrechte“ im Sinne der Französischen Revolution galten, doch waren der Rechtsalltag und das geltende Recht noch weit von der postulierten Gleichheit aller Menschen, vor allem in Bezug auf die Stellung der Geschlechter zueinander, entfernt.

Und später?
Noch im deutschen Bürgerlichen Gesetzbuch, das 1900 in Kraft trat, hatte die Frau eine dem Mann gegenüber schlechtere Stellung. Im Erbrecht und in anderen Rechtsgebieten war sie jetzt freilich gleichgestellt. Den Durchbruch brachten die Rechtsreformen in Deutschland nach 1945, vor allem das Grundgesetz 1949. Immerhin sah das BGB noch bis 1998 vor, einer ledigen Mutter einen Amtspfleger vom Amts wegen zur Seite zu stellen.

Womit könnte Katharina Luther heute rechnen?
Die im Testament aufgeführten Gegenstände sind schwer materiell zu bewerten. Den größten Wert verkörperten die Immobilien, die neben Gut Zölsdorf die 1544 genannten Grundstücke ausmachen.

Worauf käme man bei stark gemutmaßten Werten maximal?
Manche legen einem Goldgulden 120 Euro zugrunde, aber das ist nicht seriös, weil man solche Relationen nur unter Einbeziehung der Löhne, Preise, Lebenshaltungskosten usw. herstellen kann. Man käme spekulativ auf rund eine Million Euro als Wert des Vermögens, das Luther hinterlassen hat. Dazu müssen - wie auch heute - Aufwendungen sowie Belastungen und Schulden bedacht werden, um das Vermögen tatsächlich zu nutzen. Eine Aussage zum heutigen materiellen Wert kann also nur höchst spekulativ sein. Vielleicht kann der heutige durchschnittliche Preis für Grundstücke in Wittenberg (etwa 42 Euro pro Quadratmeter?) ein Anhaltspunkt sein.

(mz)