Mit Nadel, Faden und Geduld ins neue Leben
GADITZ/MZ. - Das, so verrät die junge Frau, die sich im Oktober vergangenen Jahres mit ihrer "Allesschneiderei" in Gaditz selbständig gemacht hat, sei Teil ihres einstigen Künstlernamen, als sie sich vor einigen Jahren als "Cassandra Caro" mit einer Limbo-Show als Artistin selbständig machen wollte.
"Ich war zu alt, der Rücken spielte nicht mit", erzählt die Tochter eines ehemaligen Artistenpaares, das mit einer eigenen Affen- und Ziegendressur das Land bereiste. "Da lernt man früh, eigen- und selbständig zu sein", sagt die Gaditzerin.
Doch nach der Wende lief das Geschäft schlecht. Die Eltern, denen aus ihrer Artistenzeit noch der über 20 Jahre alte Rhesusaffe "Charlie" geblieben ist, der in Gaditz quasi mit zur Familie gehört, sattelten um. "Seither arbeitet mein Vater als Marktmeister auf dem Wittenberger Wochenmarkt", erzählt die Mutter eines siebenjährigen Sohnes, die dort selbst seit zehn Jahren mit einem Kurzwarenstand als Händlerin arbeitet. "Aber leben kann man davon nicht. Es gibt hier einfach zu wenig Märkte", weiß die junge Frau, die seit April 2007 auf Hartz IV angewiesen ist.
Dass sie nun mit ihrer "Allesschneiderei" ihr Hobby zum Beruf gemacht hat, war eher ein Zufall. "Ich wollte eigentlich eine Ausbildung in der Security-Branche machen", erzählt sie, von einem Coaching bei der Firma Ausbildung, Training und Vermittlung, wo den Teilnehmern Stärken und Schwächen aufgezeigt werden. Dort wurde ich gefragt, warum ich das Nähen, das schon seit Teenagerzeiten mein Hobby ist, nicht zum Beruf machen will.
"Die Agentur für Arbeit hat das unterstützt und mir nicht nur ein dreimonatiges Praktikum im Wittenberger Nähcenter, sondern auch den Existenzgründer-Lehrgang der Wirtschaftsfördergesellschaft des Landkreises vermittelt", erzählt Frau Herget, die das Angebot gern angenommen hat. "Davon wird man nicht dümmer. Ich habe nützliche Einblicke in die Bereiche Buchführung, EDV, Steuern, Marketing und Vertrieb bekommen. Auch die Dozenten sind sehr gut, geben nützliche Tipps und helfen, wo es geht. Das ist wirklich sehr hilfreich, wenn man sich eine Existenz aufbauen will", ist die Jungunternehmerin, die hier nach wie vor jeden Dienstag die Schulbank drückt, begeistert von dem Angebot, dass sie auch künftig nutzen möchte.
Dass der Aufbau einer neuen beruflichen Existenz länger dauert, als der Umbau ihres Schlafzimmers, das jetzt ein gemütlich eingerichtetes Schneideratelier beherbergt, war ihr klar. "Von heute auf morgen kommt nicht der große Umsatz. Man braucht viel Geduld, und ich weiß, dass Gaditz für mein Geschäft nicht gerade ideal ist", sagt die Frau, die nicht nur Änderungen aller Art anbietet, sondern auch komplette Neuanfertigungen von Damen- und Kinderbekleidung nach Maß sowie Gewändern für Karneval und Mittelalterfeste, die man bei ihr auch ausleihen kann. In Wittenberg, wo Frau Herget mittwochs auf dem Wochenmarkt an ihren Kurzwarenstand auch die Angebote der Allesschneiderei offeriert, läuft es schon besser. "Viele bringen Sachen zum Ändern, die ich in den Woche darauf wieder mitbringe", freut sich die junge Frau über jeden neuen Auftrag.
Die "Allesschneiderei" in der Rosa-Luxemburg-Straße 46 in Gaditz ist montags und donnerstags von 9 bis 18 Uhr und nach Vereinbarung unter Telefon 034921 / 2 03 54 bzw. 0178 / 1 69 33 54 geöffnet.