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Frau wurde von Straßenbahn überfahren Mirjam George überlebte Straßenbahnunfall: Keine halben Wunder

Von Marcel Duclaud 15.11.2018, 15:07
Mirjam George bei einem ihrer Benefizkonzerte - hier singt sie die Arie der Susanna aus Mozarts „Figaros Hochzeit“.
Mirjam George bei einem ihrer Benefizkonzerte - hier singt sie die Arie der Susanna aus Mozarts „Figaros Hochzeit“. Privat/George

Wittenberg - Die Ärzte hatten wenig Hoffnung. Sie sahen Mirjam George, wenn sie denn überlebt, im Wachkoma, zumindest aber im Rollstuhl. Beides ist nicht eingetreten, die junge Frau kann nach einem furchtbaren Unfall wieder ein halbwegs normales Leben führen.

Sie kann sich voll bewegen, sie kann singen - am kommenden Samstagnachmittag ist Mirjam George im Wittenberger Paul Gerhardt Stift zu Gast. Sie wird ihre Erlebnisse in Form von Worten, Bildern und Gesang darbieten. Der Titel der Benefiz-Veranstaltung lautet: „Gott macht keine halben Wunder.“

An den Tag, als das Unglück geschah, hat die heute 42-Jährige kaum mehr Erinnerungen. Es war Ende Januar 2005, es war eiskalt, sie wollte sich in Halle auf den Weg zu ihrer Gesangslehrerin begeben und an der Feuerwache, dort, wo ihre Eltern leben, in die Straßenbahn steigen.

Die Bahnen da, sagt die gelernte Kinderkrankenschwester, fahren oft sehr schnell, von 60 km/h ist die Rede. Mirjam George wird von einer Straßenbahn erfasst, mitgeschleift, überrollt.

Frau wurde von Straßenbahn überrollt: So gut wie nichts mehr heil

Wie es zu dem schrecklichen Unfall kam, ist bis heute nicht genau geklärt. Passanten, erzählt sie, hätten von einem Rotlichtverstoß der Bahn berichtet. Das wurde geleugnet. Am Ende stand ein Vergleich: „Ich hatte einfach keine Kraft, weiter zu streiten.“

Auf jeden Fall nennt Mirjam George sich einen eher vorsichtigen Menschen, schon deshalb, weil sie damals in Garmisch arbeitete als Krankenschwester und im verkehrsreichen München nebenbei ein Gesangsstudium absolvierte.

Woran sie sich noch erinnert, ist, dass sie zwischen Gehsteig und Schiene lag, über ihr die Bahn. Sie war ansprechbar, stand aber unter Schock. Später heißt es, sie habe immer wieder gebeten, beim Intubieren vorsichtig zu sein, damit ja der Stimme nichts passiert.

An ihrem Körper war so gut wie nichts mehr heil nach dieser Kollision. Sie spricht von mehrfachem Schädelbruch, von sämtlichen Rippen, die gebrochen waren, von Wirbelsäulenverletzungen. „Lunge und Nieren waren kaputt, das Becken zertrümmert. In der ersten Nacht im Krankenhaus habe ich 75 Blutkonserven erhalten.“

Dass Mirjam George noch lebt, grenzt an ein Wunder. Noch wunderbarer sei, „dass ich laufe, singe und kognitiv in Ordnung bin.“ Die schwer verletzte junge Frau wollte unbedingt gesund werden: „Ich habe geübt wie eine Irre.“ Schon Ende Mai 2005 kam sie aus der Rehabilitation.

Inzwischen ist Mirjam George zweifache Mutter. Zunächst haben sie und ihr Mann ein Pflegekind angenommen, weil sie dachte, nach dem Unfall selber keine Kinder mehr bekommen zu können. Ein Irrtum, vor wenigen Monaten kam ihre Tochter Thea zur Welt.

Sie kümmert sich jetzt um ihre beiden kleinen Kinder, arbeitet bei ihrem Mann mit, der selbstständig als Krankenpfleger unterwegs ist, und führt im Übrigen ein ganz gewöhnliches Leben. Mit Schmerzen, sicher: „Aber wer hat die nicht ab und zu?“

Was nicht mehr geklappt hat, ist die Karriere als Sängerin. „Ich hatte damals, kurz vor dem Unfall, schon ein Engagement in der Tasche. Das hatte sich natürlich erledigt. Der Abschluss an der Hochschule ebenso.“ Heute ist sie froh darüber angesichts der Situation an den Theatern. Und das Singen hat sie ja nicht aufgegeben, nur das hauptberufliche.

Aus lauter Dankbarkeit

Vielleicht einmal im Monat hält Mirjam George Vorträge, gibt Konzerte. Sie macht das „aus lauter Dankbarkeit“. Um zu zeigen, dass es nicht hilft, den Kopf in den Sand zu stecken. Sie möchte ihr Publikum ermutigen, auch in noch so ausweglos scheinenden Situationen nicht aufzugeben.

Dass ihr ihr Glaube „unwahrscheinlich geholfen hat“ in den schlimmen Momenten, sagt sie auch. „Klar, ich hatte Angst, Wut, war traurig, aber ich konnte damit umgehen. Ich habe nie gesagt: Ich will nicht mehr.“ Bei anderen Patienten in einer ähnlichen Lage habe sie das ziemlich oft anders erlebt: „Die hatten komplett abgeschlossen.“

Dass Mirjam George am Samstag in Wittenberg auftritt, ist kein Zufall. Zum einen leben ihre Schwiegereltern hier, zum anderen gibt es Verbindungen zum Stift. Durch den Diakonie-Verein und durch einen Arzt, der sie auf der Intensivstation der Uni-Klinik in Halle wochenlang behandelte und inzwischen am Wittenberger Krankenhaus praktiziert: Dr. Harry Bromber. „Es wird“, vermutet sie, „bestimmt sehr emotional für mich.“

Organisiert hat die Benefizveranstaltung „Gott macht keine halben Wunder“, die am Samstag um 16 Uhr im Paul Gerhardt Stift beginnt, der Verein „Licht an! Konzerte Wittenberg“. Der Eintritt ist frei, um Spenden wird gebeten. Die kommen jeweils zur Hälfte dem Hospiz „Katharina von Bora“ und der Palliativeinheit des Krankenhauses zugute. (mz)