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Medizin in Wittenberg und Dessau Medizin in Wittenberg und Dessau: Vorreiter bei seltenen Krankheiten

Von Annette Schmidt 02.03.2021, 12:31
Annette Byhahn vor dem Rathaus in Wittenberg, das anlässlich des 11. Tages der seltenen Erkrankungen Sonntagabend beleuchtet wurde.
Annette Byhahn vor dem Rathaus in Wittenberg, das anlässlich des 11. Tages der seltenen Erkrankungen Sonntagabend beleuchtet wurde. Klitzsch

Wittenberg/Dessau - Das „Geschenk“ ist noch nicht perfekt. Aber die ersten Tests mit der App „Seltene Erkrankungen Sachsen-Anhalt“ haben Mediziner, Patienten und Krankenkasse überzeugt. Das ist am Sonnabend bei einer Video-Informationsveranstaltung deutlich geworden, die mit Blick auf den Folgetag stattfand.

An jenem Sonntag nämlich war Tag der seltenen Erkrankungen.
Das Städtische Klinikum Dessau (SKD), das in den Jahren zuvor vor Ort Patienten, Politiker sowie Mediziner und Krankenkassen zusammengeführt hat, hatte der Pandemielage geschuldet erstmalig zur Videokonferenz eingeladen.

Dabei tauschen sich Vertreter von Selbsthilfegruppen der unterschiedlichen seltenen Erkrankungen mit Fachleuten aus. Sachsen-Anhalt gilt mit seinem Mitteldeutschen Kompetenzzentrum, einem Netzwerk der Kliniken in Dessau, Halle und Magdeburg, als einer der Vorreiter auf diesem Gebiet.

Per Video mit 60 Leuten

Schirmherr Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) begrüßte in einer Videobotschaft die 60 Teilnehmer. Darin sprach er den Veranstaltern seinen Dank aus und betonte mit Blick auf die momentane Lage, wie wichtig ein gutes Gesundheitswesen ist, das sich aber stetig weiterentwickeln und verbessern müsse. Dies bedeute wiederum, dass weitere Anstrengungen in der Forschung unternommen werden müssen.

Die Wittenbergerin Annette Byhahn, die seit Jahren die Veranstaltung begleitet und die teilnehmenden Selbsthilfegruppen koordiniert, erklärte, dass sie und ihre Mitstreiter nach mehr als einem Jahrzehnt vor der Frage standen: „Was könnten wir noch machen, um das Bewusstsein für seltene Erkrankungen zu schärfen und gleichzeitig die Kommunikation zwischen den Betroffenen und Fachleuten zu stärken?“

Das Resultat dieser Überlegungen ist die von der AOK geförderte und von der Media Foundation entwickelte App „Seltene Erkrankungen Sachsen-Anhalt“. Die App, die sowohl für Android- (Playstore) als auch iOS-Geräte (Applestore) zur Verfügung stehen soll, ist derzeit allerdings noch nicht von den Stores zum Download freigegeben worden.

Die Macher erklärten, dass diese App als erste ihrer Art noch auf das Land begrenzt ist. Uwe Große-Wortmann, Geschäftsführer der Media Foundation hofft jedoch, dass die App sich bald ausweiten werde, da auch Österreich schon Interesse bekundet habe. Ziel sei es, die Vernetzung der Selbsthilfegruppen voranzutreiben, indem Patienten sich kennenlernen, von ihren individuellen Erfahrungen erzählen und sich im besten Fall unterstützen können.

Enthalten sind Audio- und Videodateien sowie medizinische Beiträge wie Interviews, deren Erstellung momentan stockt, weil die Filmteams nicht reisen dürfen. „Eine App lebt von ihren Nutzern. Mit jeder Beteiligung wächst ihr Wert“, lädt Uwe Große-Wortmann zu Mitmachen ein.

Gerriet Schröder von der AOK fügt hinzu, dass wir gerade erleben würden, wie wichtig die digitale Kommunikation sei. „Diese wird als Teil unseres Lebens nach der Pandemie bleiben, auch für den Bereich der Selbsthilfe“, ist Schröder überzeugt.

Viele der anwesenden Selbsthilfegruppen-Vertreter waren begeistert von der App, erklärten aber zugleich Bedenken wegen der regionalen Begrenzung, denn die Krankheiten enden nicht an Landesgrenzen. Die Verantwortlichen stimmten zu, bekräftigten jedoch nochmals, dass Sachsen-Anhalt nur der Anfang sei.

Auch Ärzte erklärten ihre Begeisterung für die App. Joachim Zagrodnick (SKD) begrüßte die Möglichkeiten für Betroffene, schnell Informationen und Ansprechpartner finden zu können. Sein Kollege Professor Christos Zouboulis (SKD) sagte, dass die in Sachsen-Anhalt geleistete Arbeit eine immense Bedeutung habe und die App ein weiteres Beispiel für die Vorreiterrolle des Landes im Umgang mit seltenen Erkrankungen sei.

Auf die aktuell drängendste Frage der Erkrankten, wie mit Covid-19 umzugehen sei und ob eine Impfung empfehlenswert wäre, hat der Immunologe eine klare Botschaft: „Egal, welcher Impfstoff angeboten wird, lassen Sie sich impfen.“ Denn Nebenwirkungen sind immer individuell, fraglich ist nur, wie hoch der Immunschutz ausfallen wird, aber er wird auf jeden Fall besser sein, als keinen zu haben.

Lob und Licht

Zouboulis zeigte sich in seinen Schlussworten beeindruckt von dem in den vergangenen elf Jahren Erreichten. „Gerade die Selbsthilfegruppen haben sowohl bei Krankenkassen als auch Politiker etwas bewegt.“ Jetzt sei es an der Zeit, dass Ärzte eine Nachricht aussenden müssten. „Wir brauchen mehr Zeit für die Betreuung der Patienten. Das heißt mehr Ärzte und Pflegepersonal, weniger Bürokratie und mehr Investitionen“, so Zouboulis.

Annette Byhahn wies die Teilnehmer noch auf eine besondere Aktion hin, denn um auch außerhalb des Internets die Öffentlichkeit auf den Tag der seltenen Erkrankungen aufmerksam zu machen, wurden Gebäude im Land farblich angestrahlt, darunter das Alte Rathaus in Wittenberg.

Im Verbund

Erstmals wurde der Tag der seltenen Erkrankungen am 29. Februar des Jahres 2008 von Patientenorganisationen in Europa und Nordamerika begangen; er soll die Öffentlichkeit für Krankheiten, die statistisch gesehen außerordentlich selten vorkommen, sensibilisieren. In Deutschland sind zahlreiche Selbsthilfegruppen im Verein „Allianz Chronischer Seltener Erkrankungen “ (Achse) organisiert.

Mit Achse unter Mitwirkung der Wittenbergerin Annette Byhahn von der Selbsthilfegruppe Neurofibromatose wurde 2011 der Aktionstag am Klinikum in Dessau initiiert. Elf Gruppen trafen sich damals, zum zehnten Treffen 2020 waren es 33.

Rund 6.000 der 30.000 bekannten Krankheiten gelten als selten. Wenn nicht mehr als fünf von 10.000 Menschen von einer Erkrankung betroffen sind, gilt diese in der Europäischen Union als selten. (mz)