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Kreis Wittenberg Kreis Wittenberg: Amoklauf unter Drogen

Von Markus Wagner 20.04.2010, 13:31

SCHLEESEN/MZ. - "Völlig durchgeknallt." Anderes kann Dirk Abendroth kaum über den jungen Mann sagen, der ihn am Sonntagabend mit einer Gaspistole bedroht und das Handy abgenommen hatte. Dabei hatte Abendroth noch Glück. Auf seinem Weg von Oranienbaum nach Schleesen hat der 22-jährige Täter nach Angaben der Polizei sieben Menschen verletzt, bedroht oder zur Geisel genommen.

Am Sonntag gegen 21.20 Uhr nahm das Verhängnis seinen Lauf. Der Täter hatte mit seinem Renault - Dirk Abendroth sagt, es war ein gelber - in der Straße "Kleine Kirche" einen Passanten angefahren. Der Fußgänger erlitt so schwere Schnittwunden und Prellungen, dass er stationär behandelt werden muss.

Der Fahrer dagegen suchte sein Heil in der Flucht - und verstrickte sich noch tiefer im Gewirr von Straftaten. Zur Fahrerflucht kam Geiselnahme hinzu, als er einen Passanten mit vorgehaltener Gaspistole zwang, ihn in seinem Renault nach Schleesen zu fahren. Abendroth sah den Wagen gegen 21.30 Uhr gegenüber dem Friedhofseingang halten. "Der Beifahrer stieg aus und bedrohte den Fahrer mit einer Waffe", erzählt Abendroth, der da gerade an der Friedhofsmauer stand und telefonierte. "Ich habe gedacht, es wird Zeit, sich davonzumachen." Weit kam Abendroht aber nicht, auf dem Weg nach Hause holte ihn der Täter ein. "Der hielt mir die Waffe ins Gesicht, wollte wissen, was ich da habe, und zog das Handy aus meiner Jackentasche." Als der 22-Jährige (Abendroth schätzt ihn auf 30 bis 40 Jahre) sich umdrehte um zu telefonieren, verschwand der Schleesener nach Hause, um die Polizei zu rufen.

Währenddessen sucht der Täter das Haus einer 78-jährigen Schleesenerin heim. Sie und ihr Sohn Roland Loran sitzen gerade beim Fernsehen, als es im Hof rumst. Der Sohn schaut nach, "und plötzlich stand er im Flur" - wieder mit dem Telefon am Ohr. "Die erschießen mich", soll er gerufen haben. Offenbar versucht er in Panik, einen Freund zu überreden, ihn abzuholen. Loran zwingt er raus auf den Bürgersteig, lässt ihn niederknien und schlägt ihm mit der Pistole auf den Kopf.

Dirk Abendroth sieht das. Er war zurückgekommen, um der Polizei später sagen zu können, wohin der Täter flieht. Aus sicherer Entfernung beobachtet er das grausame Schauspiel - und sieht ein Handy auf der Schleesener Kreuzung blinken, das er an sich nimmt. Offenbar hatte der Täter es weggeworfen.

Der irrt scheinbar ziellos wieder in Richtung Kreuzung. Mit einer dicken Beule am Kopf rettet sich sein Opfer ins Haus, schließt die Tür und ruft die Polizei. "Ich hab' erst einmal ein Bier getrunken und tief durchgeatmet", sagt er. Am nächsten Tag lässt Loran die Beule untersuchen und fährt wie immer auf Montage. Seine Mutter braucht länger, um die Geschehnisse zu verarbeiten. Eine Nachbarin erzählt, dass sie in der Nacht kein Auge zugetan habe.

Dabei war das nicht das Ende der seltsamen Episode. Der Täter versucht nun, Steffen Grundmann anzugehen - und gerät an den Falschen. Grundmann hatte eigentlich mit seinem Hund Gassi gehen wollen, als er Schreie hört: "Ich bring euch um, ich erschieße euch alle, Hilfe, ich drehe durch", soll der Täter gerufen haben. "Und plötzlich bog er um die Ecke", erinnert sich Grundmann. "Vor dem Typ hatte ich keine Angst, aber vor der Pistole." Die hält der junge Mann Grundmann an die Schläfe. In einem kurzen Moment der Unaufmerksamkeit kann der Schleesener sie ihm aus der Hand schlagen. In dem Moment hält ein Auto, ein Mann steigt aus, setzt den Täter auf den Beifahrersitz, packt die Pistole in den Kofferraum und rauscht in Richtung Oranienbaum davon. "Was machst du für einen Sch...", soll er gesagt haben, "Du musst sofort zum Arzt."

Die Polizei ist den beiden da schon auf den Fersen. Noch in der Nacht, schreibt sie zwei Tage später, nimmt sie den 22-Jährigen fest und kann auch die mutmaßlich bei den Taten benutzte Gaspistole sicherstellen. Am Montag wird der Haftbefehl erlassen. "Erste Untersuchungen begründen den Verdacht, dass er zur Tatzeit unter dem Einfluss von Betäubungsmitteln stand", heißt es im Polizeibericht. Oder wie es Dirk Abendroth sagte: "Der war total bekifft."