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Klage gegen "Judensau" Klage gegen "Judensau": Wittenberger Stadtkirche vor Gericht gestellt

Von Marcel Duclaud 19.12.2017, 14:15

Wittenberg - Das Thema ist heikel - und längst nicht vom Tisch. Auch wenn die Mahnwachen nicht mehr stattfinden, die so genannte Judensau an Wittenbergs Stadtkirche, das furchtbare Schmährelief aus dem 13. Jahrhundert, erregt die Gemüter nach wie vor heftig. Weil die Kirche es ablehnt, das Sandsteinrelief zu entfernen, soll dem Anliegen jetzt auf juristischem Wege Nachdruck verliehen werden.

Eingereicht zu Chanukka

Der MZ liegt eine Klageschrift vor, die beim Amtsgericht vergangene Woche eingereicht wurde - just am 12. Dezember, am ersten Tag des jüdischen Festes der Tempelreinigung (Chanukka). Sie richtet sich gegen die Stadtkirchengemeinde. Beim Kläger handelt es sich um Michael Dietrich Düllmann, ein Mitglied der Synagoge Sukkat Schalom der Jüdischen Gemeinde Berlin.

Er ist durch die im Netz kursierende Petition, in der die Abnahme des Reliefs gefordert wird, auf die Schmähplastik an der Kirche aufmerksam geworden, reiste nach Wittenberg, beteiligte sich an Mahnwachen und schrieb nach den Worten seines Anwalts Hubertus Benecke einen offenen Brief, der lediglich mit einem Musterschreiben beantwortet worden sein soll.

„Unter anderem auch die lapidare Abarbeitung des offenen Briefes hat ihn dazu bewogen, Klage zu erheben“, erklärt sein Anwalt Hubertus Benecke auf MZ-Nachfrage. Man bedauere die Klage, habe aber der Stadtkirchengemeinde bereits Anfang Dezember angeboten, sie „ruhend“ zu stellen, sollte es einen Sinneswandel geben. Düllmann will sich nicht weiter zu dem Sachverhalt äußern, kündigt aber an, für eine mündliche Verhandlung nach Wittenberg zu reisen, sollte es dazu kommen.

In der Klage wird angeführt, dass das in rund vier Meter Höhe angebrachte Sandsteinrelief am Südostflügel „den objektiven und subjektiven Tatbestand der Beleidigung“ erfülle. Dem Kläger stehe somit „ein Anspruch auf Beseitigung“ zu. Ziel ist ein Urteil, das die Kirche verpflichtet, die umstrittene „Judensau“ zu entfernen. Argumentiert wird unter anderem damit, dass die Skulptur eine fortwirkende Beleidigung sei.

Angehörige der jüdischen Konfession würden „erniedrigt, diffamiert und als unerwünscht gebrandmarkt und ausgegrenzt“. Der Stadtkirchengemeinde wird vorgeworfen, dass sie durch ihr Festhalten an der „Judensau“ die „beleidigende Wirkung dieser Schmähskulptur zumindest billigend in Kauf nimmt“.

Verstörendes Erbe

Johannes Block, Pfarrer der Stadtkirche, will sich mit Verweis auf ein laufendes Verfahren nicht äußern. Er verweist allerdings auf ein Positionspapier der Gemeinde, das sich im Internet nachlesen lässt (www.stadtkirchengemeinde-wittenberg.de). Darin heißt es unter anderem, dass die Schmähplastik ein „verstörendes Erbe“ sei.

Die Rede ist von einem „Stachel im Fleisch“, der Erinnern und Gedenken immer wieder neu provoziere. Die Gemeinde bekennt sich zu einer Erinnerungs- und Gedenkkultur mit einem „Originalstück am Originalplatz“. Geschichte solle nicht versteckt werden, Geschichtsvermittlung gelinge am eindrücklichsten am authentischen Ort.

Amtsgericht prüft Fall

Solche Argumentationsführung (vom Stachel im Fleisch etwa, fragt sich eben nur in wessen Fleisch) hat nicht zuletzt das Bündnis irritiert, das sich für die Abnahme der Judensau einsetzt und dem sich später auch Düllmann angeschlossen hat. „Es hat mich sehr verdutzt, dass die stete Beleidigung jüdischer Menschen nicht wahrgenommen wird“, bekräftigt auf Nachfrage Thomas Piehler.

Der Leipziger Pfarrer hatte das Bündnis mit maßgeblicher Unterstützung der Darmstädter Marienschwestern wie berichtet auf den Weg gebracht und in diesem Jahr über Monate hinweg mittwochs stille Mahnwachen in Wittenberg gehalten.

Über Düllmanns Klage sagt Piehler zur MZ, dass darüber auch im Bündnis gesprochen wurde. Zwar sei man „bewusst nicht als Klagegemeinschaft angetreten“, aber: „Wir empfinden es einhellig, dass das der nächste notwendige Schritt ist.“

Die nächsten Schritte zu vollziehen liegt nun beim Wittenberger Amtsgericht. Dort ist laut Direktor Johannes Nolte die Klageschrift eingegangen. Nach der Begleichung des üblichen Gerichtskostenvorschusses würde die Klage dann auch der Stadtkirchengemeinde zugestellt werden. Im Anschluss daran entscheidet der mit dem Fall beauftragte Richter, wie es weitergeht. Ausgang ungewiss. (mz)