1. MZ.de
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Wittenberg
  6. >
  7. Gedenken : Holocaust in Wittenberg: Rosen vor der Bossestraße 26 sollen verfolgte Familie ehren

Jetzt einschalten

Gedenken  Holocaust in Wittenberg: Rosen vor der Bossestraße 26 sollen verfolgte Familie ehren

Von Irina Steinmann 17.12.2016, 11:00
Zwischen Friedrich- und Sternstraße heißt die vormalige Heubnerstraße jetzt Bossestraße.
Zwischen Friedrich- und Sternstraße heißt die vormalige Heubnerstraße jetzt Bossestraße. Thomas Klitzsch

Wittenberg - Im Lindenfeld erinnert seit Freitag eine Straße an zwei Menschen, die sich um die Lutherstadt verdient gemacht haben mit Auswirkungen bis in die heutige Zeit hinein. Viele Wittenberger wären anderswo zur Welt gekommen oder gar nicht am Leben, hätte es sie nicht gegeben: Paul Bosse und seine Frau Käte.

Die Stadt hat es ihnen seinerzeit nicht gedankt, ganz im Gegenteil. Vernichtet wurde in Wittenberg ab 1933 Stück für Stück die berufliche Existenz des Chirurgen und Frauenarztes, seine Ehefrau starb 1944 im KZ Ravensbrück - an einem 16. Dezember.

Exakt 72 Jahre später versammeln sich an der Heubner-/Ecke Friedrichstraße mehrere Dutzend Menschen in frostiger Dezember-Sonne, um zwischen Kaddisch und Coffeebike diesen beiden Wittenbergern Respekt zu erweisen, die irgendwann keine mehr sein durften und von deren Nachfahren heute auch keiner mehr lebt in der Lutherstadt.

Aber sie sind zurückgekommen, an die 30 Enkel, Großenkel, Urgroßenkel von Käte und Paul Bosse, um der Straßenumbenennung beizuwohnen, die der emeritierte Geschichtsprofessor und Initiator Hans-Jürgen Grabbe einen Akt der „Buße“ nennt und der Oberbürgermeister ein „sichtbares Signal“, dass sich die Lutherstadt auch zur dunklen Seite ihrer Geschichte bekenne.

„Dr. Paul Bosse ist Unrecht widerfahren“, stellt das Stadtoberhaupt, Torsten Zugehör (parteilos) fest. Ein schlichter und bei aller Selbstverständlichkeit doch so wichtiger Satz. Dass der ärztliche Direktor 1935 wegen seiner als solcher eingestuften jüdischen Ehefrau das Stift endgültig verlassen musste, sollte für die Nachwelt Gutes bergen: In der Bossestraße 26, wie die Straße nun heißt, erblickten bis 1996 wohl Abertausende Wittenberger das Licht der Welt.

Nur wenige „der Verfolgten des Naziregimes hatten die Möglichkeit, so etwas Schönes und Lebendiges in die Welt zu setzen“ wie sein Großvater Paul mit der Bosse-Klinik, sagte Paul-Ulrich Bosse am Freitag in Wittenberg. „Wir sind glücklich“ über die Entscheidung der Stadt, eine - und diese - Straße nach Paul und Käte Bosse zu benennen, so der aus Westfalen angereiste Enkel.

Zahlreiche Familienmitglieder, darunter eine sehr große Abordnung aus Wales, suchten auch das Haus auf, wo bis 1996 Wittenberger zur Welt gebracht wurden. Rote Rosen lagen auf dem Stolperstein, der dort seit 2009 an das schreckliche Schicksal von Käte Bosse erinnert. Eine Großenkelin aus Wales weist hinauf zum Turmzimmer, dort, erinnert sie sich an deren Erzählungen, hätte ihre Großmutter immer gespielt...

„Es liegt jetzt an uns, ob wir das moderne Völkische, das wir heute Populismus nennen, wieder zulassen“, hatte Ulrich Bosse gewarnt. Auch seine Vorfahren waren einmal eine ganz normale deutsche Familie gewesen. Ein Zusatzschild am Straßenschild weist Vorbeikommende darauf hin, wer die beiden waren, deren Erinnerung die Stadt hier wachhält - für die Zukunft. (mz)